Auf Spree, Dahme, Seen und Kanälen von Treptow bis Bad Saarow
30.05.-02.06.2019 - 3-tägige Kajaktour auf Spree, Dahme, Seen und Kanälen von Treptow bis Bad SaarowLänge: 80 km
Ob der Herrentag ein guter Tag zum Start einer mehrtägigen Kajaktour im Berliner Südosten ist, sei dahingestellt. Mit einer unmittelbaren Fluchtperspektive im Sinn sicher nicht, mit soziologischer Neugier für das Rudelverhalten alkoholisierter Männer aller Altersklassen kann das schon Sinn machen. Aber bin ich dieser Soziologe? Wie dem auch sei, ich hatte gar keine große Auswahl, um ein langes Wochenende mit dem Freitag als Brückentag für diese Tour zu organisieren. Mein Vorhaben: Ich will über Spree und Dahme, Seen und Kanäle in 3 Tagesetappen bis zum Scharmützelsee paddeln, eine Gesamtstrecke von etwa 80 Kilometern.
Als ich in Treptow am Parkplatz an der gut bevölkerten Insel der Jugend ankomme, sind überdies bereits die Sperrschilder für den Berlin Triathlon zu sehen, der am Wochenende stattfindet – leider ohne mein Wissen und Einverständnis. Ich kann aber schließlich in einer kleinen Nebenstraße am Plänterwald parken und verbringe das Kajak auf dem Wagen etwa 500 Meter bis zum Ufer, wo an einer Stelle die Ufereinfassung etwas abgebröckelt ist. Ich starte zunächst mit einer Ehrenrunde um die Insel der Jugend und nehme dann Kurs auf der Spree nach Süden auf das Heizkraftwerk gegenüber dem Plänterwald. Lauter Technowums treibt Dutzende Hausbootflösse mit gröhlenden jungen Männern voran, dazwischen Tretboote, Gummiboote, Leihkanus, an den Ufern Partyvolk und junge Familien, viele ebenfalls mit musikalischer Untermalung.
Trotzdem, auf dem Wasser kehrt gleich eine innere Ruhe in mir ein, meine Toleranzschwelle steigt und überdies scheinen auch die fiesesten Stiernackenprolls auf den Kähnen im Grunde friedlicher Stimmung zu sein. Das Wasser ist alles andere als ruhig, Kabbelwellen der Motorboote reflektieren kreuz und quer zwischen den befestigten Uferspundwänden der Spree. Der Wind, laut Wetterdienst aus Nordwest angesagt und als Zusatztreibstoff auf der Reise nach Südosten eingeplant, geht seine eigenen Wege und weht mir mit allerdings lauen 2-3 Windstärken aus Südwest entgegen. Im Grunde geht es ja auch gegenan, die Spree fließt mir unmerklich entgegen. Allerdings soll wohl in den letzten Jahren aufgrund der Trockenheit so wenig Wasser fliessen, dass rein theoretisch fast das ganze Wasser der Spree in Berlin aus den geklärten Abwässern der Stadt besteht, die hier eingeleitet werden und hin- und herschwappen, ohne wirklich abzufließen, eine etwas gewöhnungsbedürftige Vorstellung.
Es ist heiter und wolkig, wie man so schön sagt. Die Spree ist noch ganz urban und wartet an den Ufern mit einer bunten Mischung aus abgerockten Industrieanlagen, festvertäuten Aussteiger-Hausbooten, der wuchernden Natur des verwunschenen Plänterwaldes, aber auch Bauprojekten allerorten auf. Das sozialarchitektonische Grundprinzip des neuen Bauens an der Spree würde ich als Brüterbunker oder Brüterburg bezeichnen: hochpreisige Eigentumswohnungen oder auch Mietwohnungen für die nachwuchszüchtende Doppelverdiener-Erbengeneration in einzelnen hellen Türmen sprießen wie die Pilze aus dem Spreesumpf. Aus alten Backsteinfabriken entstehen Luxuswohnanlagen, allesamt mit großen Fensterfronten, Balkonen, gepflegten Grünanlagen. Lichtdurchflutet und kultiviert entsteht hier in Windeseile ein soziales Gefüge, das mit dem alten Berlin nichts mehr zu tun hat. Bolle hat hier nichts verloren und muss in Marzahn, Hellersdorf und Gropiusstadt bleiben. Die neuen Bewohner scheinen eher aus dem Bonner Raum zu stammen und beziehen vielleicht tagsüber ihre Regierungs- oder Beraterposten in den vielen neuentstandenen Schiessschartenbunkern, die wiederum das architektonische Paradigma der Merkel-Ära in Berlin Mitte bilden, unnahbare Technokratenfestungen, über die sich Albert Speer gefreut hätte.
Die Fahrt geht weiter, unter der Minna-Todenhagen Brücke hindurch, vor der rechts der Britzer Verbindungskanal abzweigt und auch eine merkwürdige Flachpyramide aus Sand liegt, am Ruinengelände der ehemaligen Brauerei Bärenquell vorbei, entlang imposanter Industriekulisse am linken Ufer bei Niederschöneweide, bis auch schon die beturmte Köpenicker Altstadt am Horizont erscheint. Hier treffen Müggelspree und Dahme aufeinander und vereinen sich zur Spree.
Ich biege nach rechts in die Dahme ein. Unter der langen Brücke hindurch gleite ich am Köpenicker Schloss vorbei (wenn man denn bei 5,6 km Durchschnittsgeschwindigkeit von Gleiten sprechen kann). Rechts zweigt nach etwas mehr als einem Kilometer der Teltowkanal ab. Auch hier entstehen eifrig weitere Brüterbunker. Schon biege ich in den Langen See ein und es umgibt mich klassisches Regattaflair mit den langgezogenen, durch weiße Schwimmer abgegrenzten Ruderbahnen und der Grünauer Regattatribüne am rechten Ufer. Nur ab und an ziehen heute einige Rudermannschaften ihre Trainingsbahnen auf der 2 Kilometer langen Strecke, während links immer noch vereinzelte Technohausboote vorbeiwummern, aber auch einige Segler unterwegs sind.
Nach weiteren 2,5 Kilometern auf der Dahme gelange ich kurz vor Schmöckwitz links in die Grosse Krampe, einen etwa 3 Kilometer langen langfingrigen Seearm, auf dessen linker Seite gleich vornan in einer kleinen Bucht der Zeltplatz „Kuhle Wampe“ liegt, mein heutiges Tagesziel nach 20 Kilometern.
Der originale Zeltplatz am Großen Müggelsee gab dem Klassiker des proletarischen Films der 30er Jahre (Slatan Dudov, Bertolt Brecht, Hans Eisler) seinen Namen, ich befinde mich also auf diesem kleinen Namensvetter-Zeltplatz in kulturell aufgeladener Kulisse. Direkt am Ufer der etwas abschüssigen kleinen Zeltwiese kann ich mein Zelt aufbauen. Am kleinen Imbiss des Platzes ist ebenfalls eine laut- und promillestarke, bereits im agonalen Endstadium befindliche Herrentagsparty im Gang, aber in friedlicher Erschöpfung erdulde ich dies alles und genieße eine fettige Bratwurst mit Kartoffelsalat (übrigens das einzige Gericht, dass hier im Berliner Südosten erhältlich ist, wie ich noch lernen sollte), die ich mit einem kühlen Bier verspeise. Vielleicht ist dies das Bauchgefühl, das dem Begriff Kuhle Wampe optimal entspricht. Der Philosoph Byung-Chul Han hat in seinem Essay „Die Müdigkeitsgesellschaft“ auf die friedensstiftend vergesellschaftende Wirkung der totalen Erschöpfung hingewiesen und ich kann ihm heute nur zustimmen. Zum Glück ist die Party bald verstummt und nur noch Vogelgezwitscher begleitet den Abend. Ich bin der Zivilisation fürs erste entkommen.
Der nächste Morgen beginnt mit einem Bad am kleinen Sandstrand des Zeltplatzes. Eine Schüssel Haferflocken und einen Becher Nescafé später bedanke ich mich beim netten sächsischen Platzwart und sitze gleich darauf wieder im Kajak. Die heutige Etappe wird länger (33 km) und soll mich weiter über die Dahme und einige Seen im Südosten bis zum Wolziger See bringen, wo sich lt. Jübermann ganz im Norden ein kleiner Wasserwanderrastplatz befindet. Ich steuere den Ort Schmöckwitz an, der dem Zeltplatz südwestlich gegenüber liegt. Hier wird links der Seddinsee sichtbar und nach einer Brückendurchfahrt öffnet sich zunächst der Zeuthener See nach Süden, mit Wald und kleinen Siedlungen am Ostufer und den Orten Schmöckwitz, Zeuthen und Wildau am Westufer.
Gleich links hinter Brücke liegt das Strandbad Schmöckwitz und etwas weiter auch ein Campingplatz, der sich ebenfalls für einen Zwischenstopp geeignet hätte. Obwohl das Wochenende naht, ist der Bootsbetrieb nun merklich geringer, nur ein DLRG-Boot auf Übungsfahrt fährt immer wieder an mir vorbei. Hinter der kleinen Insel Zeuthener Wall und der Ortschaft Rauchfangwerder an Backbord geht es nach insgesamt ca. 4km auf dem See geradeaus weiter auf der Dahme, die zunächst noch durch etwas weitere Seenabschnitte führt, bis es dann vor Königs-Wusterhausen enger wird. Es bewölkt sich langsam, Regen kündigt sich an und als ich erst die Autobahnbrücke der A10 unter- und dann den hässlichen Industriehafen von Königs-Wusterhausen durchquere, ist schon alles grau in grau, ganz passend zum tristen Beton und Zement-Look.
Aber dahinter wird es wieder idyllischer. Ich passiere das gepflegte Anwesen des Ruderclubs Königs Wusterhausen und bin kurz darauf schon an der Schleuse Neue Mühle angekommen.
Die Dahmestrecke vom Ausgang des Zeuthener Sees bis zu Schleuse beläuft sich auf etwa 5 km. Vor mir an der Schleusenausfahrt wartet eine große Motoryacht mit 2 riesigen blaurauchenden Dieselauspuffrohren. Der Gedanke, hinter diesem Stinker in der Schleuse zu liegen und eingeräuchert zu werden, lässt mich die Vorschrift, dass kleine Boote hinter großen Booten einlaufen sollten, außer Acht lassen. Ich ziehe rechts an der Yacht vorbei und fahre in die Schleusenkammer, wo auch schon einige Paddler warten. Tatsächlich grummelt es beim Schleusen schnippisch von hinten, dass sich das nicht gehöre und ich verweise auf die Dieselpest. Das hilft tatsächlich und das Maulen nimmt ab.
Hinter der Schleuse geht es nach einigen Metern in den eher kleinen Krimnicksee und den anschließenden größeren Kriepelsee. Hier kommt endlich der erhoffte Rückenwind aus Westen auf und ich entfalte kurz das Paddlesail. Leider halten die Böen nur für ein paar Minuten und zeigen sich als Vorboten eines Regenschauers, der zum Glück nur kurz währt.
Am östlichen Ende des Kriepelsees geht es wieder weiter auf der Dahme und von dort nach etwa 6 Kilometern in den Dolgensee, der sich über knapp 2 km nach Südosten erstreckt. An dessen östlichem Ausgang mache ich endlich eine kleine Rast, Raviolitime. Das Wetter hat sich langsam wieder aufgeheitert und wieder geht es in die Dahme. Nach einer kurzen Strecke gelange ich in den Langen See und zweige nun nach links ab Richtung Osten. Meine Fahrt auf der Dahme, die weiter nach Süden verläuft (oder vielmehr von Süden kommt), ist nun vorbei. Insgesamt macht die Dahme nicht wirklich den Eindruck eines Flusses – die fehlende oder unmerkliche Strömung, die oft bebauten oder befestigten Ufer und die vielen Seen in ihrem Verlauf lassen sie eher kanalartig erscheinen, ohne dass sie deswegen langweilig wäre. Ich schließe mich daher Theodor Fontane an, der im Band 4 der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ über die Dahme schrieb: „Die wendische Spree, mehr noch als die eigentliche, bildet eine große Anzahl prächtiger Seeflächen, die durch einen dünnen Wasserfaden verbunden sind. Ein Befahren dieses Flusses bewegt sich also in Gegensätzen, und während eben noch haffartige Breiten passiert wurden, auf denen eine Seeschlacht geschlagen werden könnte, drängt sich das Boot eine Viertelstunde später durch so schmale Defilés, daß die Ruderstangen nach rechts und links hin die Ufer berühren.“
Nach der Querung des Langen Sees und einem kleinen Verbindungskanal gelange ich schließlich zum Wolziger See, der, von eher runder Form und zwischen 2-3 km im Durchmesser, einen schönen Charakter von Weite vermittelt. Vereinzelte Segler und am Horizont auch Segelflieger vom Flughafen Fredersdorf geben ein luftiges Bild. Ein einsamer Schwimmer im Neoprenanzug pflügt kraulend durch den See. Ich bin langsam müde und hoffe inständig, dass Jübermann recht hat mit dem genannten WWR am nördlichen Ufer, der auf GoogleMaps nicht eingetragen ist. Ich hatte daher zuerst geplant, der Dahme noch ein kleines Stück zu folgen und am Schmöldesee, wo 2 Campingplätze und ein WWR eingezeichnet sind, zu übernachten. Das hätte die Tour nach Bad Saarow aber um einige Kilometer verlängert. Tatsächlich taucht der Wasserwanderrastplatz bei Wolzig, ca 300 Meter von der Einfahrt zum Storkower Kanal entfernt, auf. Danke Jübermann!
Ich klettere aus dem Kajak und zahle sympathische 5 Euro für die Nacht (sehr einfacher Komfort, nur eine Toilette und eine Dusche). Auch hier kann ich das brandenburgische Nationalgericht Bockwurst mit Kartoffelsalat zu mir nehmen und dazu ein kühles Bier. Eine größere Gruppe von Teenagern hat rote Zelte aufgebaut und tollt herum. Ein etwas mürrisches Paddlerpärchen landet an in 2 schönen schlanken Prijon Barracuda Kajaks aus teurem Aramid. Mein Seayak, gegenüber den plumpen Leihkajaks auf den Seen eben noch eine strahlende Schönheit wirkt nun wie ein pummeliges rotes Entchen, breit, schwer und kurz. Ich beschließe, mir die Beine noch etwas zu vertreten und laufe die etwa 1,5 km zur Ortschaft Wolzig, die einen etwas gespenstischen und gottverlassenen Eindruck macht. Ein Cafe am Ortseingang macht einen betrüblichen Eindruck und ist schon geschlossen. Die einzige Gastwirtschaft im Ort ist seit langem geschlossen, das Kriegsdenkmal scheint der einzige kulturelle Brennpunkt zu sein. Auf Googlemaps ist ein Bäcker eingezeichnet. Als ich 3 Einheimische befrage, erhalte ich die Auskunft: ja, den Bäcker gibt es tatsächlich, gleich bei der Brücke über den Storkower Kanal, aber er hat nur einmal in der Woche auf, am Samstag zwischen 6 Uhr morgens bis 11 Uhr. Willkommen in der Prärie, 40 km Luftlinie von Berlin. Ich wandere zurück zum Zeltplatz und beobachte vom Steg ein Rudel zänkischer Haubentaucher.
Der nächste Morgen beginnt mit einem Bad im flachen und leider hier recht veralgten See. Meine Proviantreserven an Haferflocken gehen zur Neige, aber es reicht grade noch. Immerhin konnte ich den Reserveakku über Nacht an einer Steckdose des Waschraumes aufladen, so dass zumindest mein Smartphone seinen unersättlichen Energiehunger stillen kann. Da ich den Umweg über den Schmöldesee ausgelassen hatte, steht heute auch nur ein Etmal von etwa 27 km bis nach Bad Saarow an.
Die ersten 9 Kilometer davon führen durch den Anfang des 18. Jhdts.angelegten Storkower Kanal, der mit 2 Selbstbedienungsschleusen aufwartet, der Kummersdorfer Schleuse nach etwa 3 Kilometern und der Storkower Schleuse vor dem Übergang in den Storkower See. Der Storkower Kanal ist durchaus abwechslungsreich angelegt – schattige, baumverhangene Strecken wechseln mit offener Landschaft, Weiden und Schilfufern. Der Kanal verläuft durch die beiden Naturschutzgebiete Luchwiesen und Storkower Kanal.
Die Uferbebauung ist entsprechend spärlich. Die Kummersdorfer Schleuse macht keine Probleme. Ich bin allein, lege den Hebel an der blauen Selbstbedienungsstange um, die Anzeigetafel springt um und kündigt die Schleusung an, die Tore öffnen sich, schließen sich und keine 10 Minuten später bin ich durchgeschleust, der Schleusenhub beträgt hier grade mal 1,17 Meter. Die Storkower Schleuse dagegen schließt grade, als ich ankomme, und ich muss erst die Gegenschleusung abwarten.
Endlich in der Schleusenkammer nach etwa 20 Minuten, vergesse ich den blauen Hebel in der Schleuse umzulegen. Da sich gleich daneben eine rote Hebelstange mit großem warnendem Schild „Notstop“ befindet und bei der Schleuse davor alles automatisch funktionierte, komme ich gar nicht auf den Gedanken, hier tätig zu werden. Aber es macht natürlich Sinn, die Schleusung noch einmal explizit zu bestätigen, wenn alle Leinen auf Slip gelegt sind. Ich warte also in der Schleusenkammer und warte und warte. Ein fetter struppiger Graureiher betätigt sich räuberisch am Schleusenausgang und schnappt sich kleine Fische. Endlich kommt jemand und erklärt mir Dummerchen den Mechanismus. In diesem Moment kommt noch eine kleine Motoryacht hinzu, legt an, bedient wie selbstverständlich den blauen Weiterschleusungshebel und die Schleusentore schließen sich. Der Schleusenhub beträgt hier 1,94 m.
Der sich nun anschließende und über etwa 5 km südöstlich erstreckende Storkower See ist durch eine Engstelle zweigeteilt – der nördliche Teil hinter der Schleuse ist knapp 2 km weit, der untere Teil 3 km. In letzterem imponiert am Westufer das Jagdschloss Hubertushöhe.
Schräg gegenüber entdecke ich eine gut bevölkerte Badestelle beim Campingplatz Dahmsdorf und mache hier Rast.
Es sind nun noch überschaubare 10 km bis zum Ziel, dem kleinen Zeltplatz Basa Camp am Westufer des Scharmützelsees. Wieder geht es in einen Kanal, der vom Storkower See nach Wendisch-Rietz führt, einer Kleinstadt am südlichen Ufer des Scharmützelsees, wo noch eine letzte Schleuse passiert werden muss.
Dann öffnet sich eine große Weite – der Scharmützelsee wird seinem Ruf als „märkischem Meer“ durchaus gerecht. Es geht lebendig daher, der See ist bevölkert von Seglern, Motoryachten, Paddlern, Tretbootfahrern, Standup-Paddlern. In einiger Ferne rasen auch einige Motorboote dahin, Geschwindigkeitsbegrenzungen scheint es hier nicht zu geben.
Ich merke, wie ich immer langsamer und saumseliger werde, wo das Ende dieser Tour nun bald bevorsteht. Irgendwie habe ich inzwischen auch schon einen leichten Wasserkoller, es ist kaum zu fassen, wie unabsehbar hier Seen und Kanäle in immer fortlaufenden Verzweigungen miteinander verbunden sind und sich endlos fortziehen. Bad Saarow selbst hat keinen Campingplatz, die Grundstückspreise dort lassen so etwas wohl nicht zu. Der Campingplatz, den ich nun ansteuere, soll im Ortsteil Bad Saarow Strand etwa 5 Kilometer vom Kurort etwas versteckt in zweiter Reihe vom Wasser liegen. Bei Jübermann wird der Platz nicht erwähnt, auf Googlemaps ist er eingezeichnet und hat auch eine Website.
Nicht weit vom Nobel-Restaurant „Das Dorsch“, dem „Gosch“ von Bad Saarow mit repräsentativer Yachtmole, liegt eine größere Badewiese, die zu einem verwaisten Campingplatz gehört. Hinter der Wiese vergammeln die bröckelnden Reste einer einst ansehnlichen Steganlage und dahinter befinden sich verlassene Hütten.
Ich lande erst einmal an der Badewiese an und hoffe, dass Googlemaps recht hat mit dem kleinen Campingplatz, der sich hier in der Nähe befinden soll. Tatsächlich bestätigt mir eine Besucherin des Strandbades die Existenz des Platzes. Ich lasse das Seayak am Strand und schaue mir das Ganze erst einmal an. Und ja – der kleine Platz existiert tatsächlich etwa 250 Meter vom Strand am Friedrich-Engels-Damm. Mit Erschrecken entdecke ich am Eingang ein Schild mit dem Hinweis, dass an diesem Tag keine Besucher mehr angenommen werden. Ich kann’s nicht fassen, greife beherzt zum Telefon und erreiche tatsächlich den Platzwart. Nein, ein kleines Zelt sei kein Problem, aufgrund des Herrentages sei der Besucherandrang groß gewesen, aber es seien einige Gäste bereits wieder abgereist. Ich bin erleichtert und hole das Boot mit dem Kajakwagen. Die zur Straße hinaufführende Treppe lässt sich übrigens umfahren, wenn man den Weg über das Gelände des Geistercampingplatzes nimmt. Dieser führt direkt von der alten Steganlage hoch zur Straße. Merkwürdig, dass sich bei der guten Lage seit Jahren kein Nachfolger für den Platz gefunden hat – über kurz oder lang werden hier sicher weitere Villen gebaut. Infrastruktur gibt es in Bad Saarow Strand außer dem Restaurant „Das Dorsch“ keine, ich nehme ein Bad am Strand und lasse mir eine klebrige aber nahrhafte Pizza anliefern, mit der ich den Abend und die Tour beschließe.
Am nächsten Morgen bleibt das Kajak abreisefertig verpackt auf dem Platz zurück, ich laufe die 5 Kilometer nach Bad Saarow. Ein kurzer Blick auf den See von der mit herausgeputzten Villen flankierten Ufer-Promenade, eine Stippvisite beim Denkmal des DDR-Nationalhymnen-Dichters Johannes R. Becher und schon geht es an der verlassenen Villa des von den Nazis ermordeten jüdischen Unternehmers Marcus vorbei zum Bad Saarower Bahnhof.
Mit der Regionalbahn geht es via Fürstenwalde in 50 Minuten nach Berlin Ostkreuz und dann mit der S-Bahn nach Treptow, wo ich den Wagen hole. Um die Insel der Jugend herum, wo meine Tour mit voller Herrentagsdröhnung begann, kraulen heute hunderte Schwimmer des Berlin Triathlon.