Vom Werlsee bis zum Müggelsee über Löcknitz, Flakenfließ und Müggelspree
02.10.2021 - Kajak-Tagestour auf Löcknitz und Müggelspree über die Seen im Südosten BerlinsLänge: 18 km
Auf der Suche nach den seltenen Fließgewässern im Berliner Raum bin ich auf das Füßchen Löcknitz gestoßen, über das man nördlich der Müggelspree über einige Seen ebenfalls bis zum Dämeritzsee gelangen kann. Ab dem Ortsteil Fangschleuse bei Grünheide sei es erlaubt, dort zu paddeln und ein Youtube-Video von 2011 machte mich neugierig.
So steige ich an diesem sonnigen Tag hoffnungsfroh mit meinem Nortik Fold in der wuchtigen Tasche in die Tram und dann vom Alexanderplatz in den Regionalzug nach Frankfurt/Oder. Krakeelende Kinder und überfüllte Züge am Samstag vormittag ertrage ich tapfer mit der Aussicht, gleich auf einem einsamen Fluß inmitten noch frühherbstlicher Natur dahinzupaddeln. In Fangschleuse steige ich aus und rolle die Packtasche auf der wackligen Minisackkarre mit einiger Mühe etwa 600 Meter nördlich bis zu einer Brücke über die Löcknitz, wo ich einzusteigen hoffe. Unter der Brücke befindet sich ein Miniwehr.
Östlich ist das Paddeln aus Naturschutzgründen verboten. Mein Blick auf der Brücke geht also nach Westen in das waldige Dickicht und mein Paddeltraum zerplatzt. Die hier vielleicht 6m breite und tatsächlich fließende Löcknitz ist voller Hindernisse und unbefahrbar.
Allein auf einsehbaren ca. 200 Metern sind 3 umgestürzte Bäume zu finden, die den Flußlauf versperren. Die Ufer sind morastig, ein Umtragen würde wohl den Charakter von Schlammcatchen bekommen. Ich möchte heute wirklich kein Survivaltraining absolvieren. Ich laufe noch ein paar Meter auf einem parallel zum Fluß verlaufenden Wanderweg, eine wirkliche Besserung ergibt sich nicht. Offenbar hat man sich entschieden, der Wildnis hier Priorität einzuräumen und das kommt der allgemeinen Bräsigkeit der kommunalen Verwaltung ja auch wunderbar entgegen. Wer hätte gedacht, daß Naturschutz und Beamtenfleiss so gut zusammenpassen. Nun muß man nur noch abwarten, bis Elon Musks durstige Tesla-Fabrik, die hier ganz in der Nähe gebaut wird, das Grundwasser soweit absaugt, dass im ehemaligen Flußbett ein schöner Spazierweg entsteht. Tue nichts und nichts bleibt ungetan.
Was nun? Zurücklaufen, den Zug nach Erkner nehmen und dort auf dem Dämeritzsee paddeln? Google sagt mir, dass es noch etwa 1,5 km bis zum Werlsee sind, wo die Neue Löcknitz ihren Weg nach Westen nimmt. Es wird eine mühselige Plackerei und ich muss mich unbedingt nach einer vernünftigen Sackkarre umsehen, die auch als Kajakwagen benutzt werden kann. Schlußendlich angekommen am Werlsee in der Nähe des Südstrandes baue ich das Kajak auf – das Einfädeln der Kederleisten gestaltet sich schwierig diesmal.
Endlich sitze ich in meinem Origami-Kajak und fahre auf dem See Richtung Westen. Ich habe sogar meine Osmo Action-Cam auf dem Vorderdeck aufgebaut, die mir aber nicht recht gehorchen will. „Take photo“, sage ich. „Leck mich“, scheint die Kamera stumm zu antworten. Einige Bilder und Videos entstehen aber doch, das kann nur besser werden.
Die Neue Löcknitz, die ich nach wenigen Minuten erreiche, ist kein wildromantisches Flüßchen – es ist eher ein zivilisierter, vielleicht 25m breiter Kanal, durchgehend mit Pfahlböschung versehen, an der rechts und links große und kleine Wassergrundstücke liegen, die von den mehr oder weniger großen Ambitionen ihrer Besitzer zeugen. Mal neureich mit nagelschere-manikürtem Rasen, 300PS Speedboat und mächtigen Gipslöwen, die den Garten bewachen, mal etwas verlottert und mit rostigem DDR-Kahn versehen von ehedem sozialistisch privilegierter Hyggeligkeit kündend.
Der Motorbootverkehr hält sich in Grenzen. Vor der A10, die die Löcknitz überquert, zweigt links ein mäandernder Nebenarm ab, den ich eigentlich befahren wollte, aber leider ist die Strecke als Einbahnstraße gekennzeichnet – die Einfahrt ist verboten. So paddle ich den kürzeren Weg weiter gradeaus – und hinter der Brücke wird es ruhiger, die Bebauung weicht Wald und der Naturfreund in mir kommt zumindest etwas auf seine Kosten.
Nach etwa 4,3 Kilometern mündet die Löcknitz nun in den Flakensee, der sich großzügig nach Norden erstreckt.
Ich wende mich aber gleich links nach Südwest und paddle durch das 700m kurze Flakenfließ nach Erkner und in den Dämeritzsee. Leider hängt im Flakenfließ ein merkwürdiger chemischer Brandgeruch in der Luft, dessen Ursache nicht auszumachen ist. Ich überlege schon, die Tour hier in Erkner abzubrechen, aber der ätzende Mief treibt mich erstmal hinaus auf den Dämeritzsee. Ich entschließe mich, weiterzupaddeln über die auf der Westseite des Sees austretende Müggelspree bis zum Müggelsee und diesen einmal in der ganzen Länge zu durchqueren. Friedrichshagen ganz im Westen des Müggelsees ist mein neues Ziel.
Auf dem Dämeritzsee ist es recht kabbelig, als ich am Nordufer entlangfahre, denn der Wind kommt mit 3 bis 4 Windstärken aus Süd und kann etwas Welle aufbauen. Das Nortik Fold kommt gut mit den Wellen zurecht, aber ein Seekajak ist es nicht. Da das Kajak nicht abgeschottet ist und ich nur an den Spitzen kleine aufblasbare Auftriebskörper untergebracht habe, würde es bei einer unfreiwilligen Kenterung mächtig voll Wasser laufen. Auch ein Reentry per Paddlefloat wäre mit Vorsicht zu genießen. Unmittelbar am Süllrand ist das Origami-Kajak wegen der dort angebrachten Spanten zwar sehr stabil. Ein Raufrobben quer aufs Heck mit Paddlefloatstütze dürfte aber eine ziemliche Belastung darstellen. Ich bleibe daher lieber nah am Ufer.
Die Einfahrt in die Müggelspree ist von Stellnetzen umgeben, die aber nicht weit in den See reichen. Der Charakter der Müggelspree ist hier ebenso zivilisiert wie zu Beginn der Neuen Löcknitz. Es ist eine rundum bebaute „Kanalstrecke“ ohne natürliche Ufer, nicht zu vergleichen mit dem urtümlichen mäandernden Verlauf zwischen Fürstenwalde und Erkner.
Motorboote tuckern hin und her, meist ohne großen Schwell und größeren Gestank. Einmal kommt mir eine Paddlerin in einem Oru Origami-Kajak entgegen und wir tauschen einen kurzen Gruß. Wenige Minuten später winkt mich ein Pärchen am Ufer heran. Die Frau interessiert sich ebenfalls für das Kajak und fragt mich neugierig aus.
Ein Highlight der Müggelspree bei Rahnsdorf könnte der Ortsteil Neu-Venedig sein, ein Kanal-Labyrinth, das hier auf der nördlichen Uferseite abzweigt, das ich aber aufgrund der fortgeschrittenen Zeit rechts liegen lasse.
Bald erreiche ich den kleinen Müggelsee als Vorboten des großen Müggelsees.
Nach einer Durchfahrt voraus öffnet sich nun die Weite des Müggelsees. Größere Motorboote donnern in einiger Entfernung und zum Glück in die Fahrrinne verbannt über den See. Segelyachten, Jollenkreuzer und Jollen tauchen auf.
Der Wind hat zum Glück nachgelassen und die Wasserfläche ist hier am südlichen Ufer im Windschatten friedlich und ruhig, der verbleibende Schwell der Windwelle im Norden und der Motorboote erzeugt nur eine harmlose Dünung. Das Südufer ist waldbestanden und im Schilfgürtel tun sich hier und da kleine Buchten auf. Ich mache eine kleine Pause.
Allerdings wird es jetzt langsam Zeit für den Zieleinlauf, denn die blaue Stunde zeigt sich schon, die Sonne rutscht tiefer und tiefer. Und der Müggelsee ist groß, das merke ich, als das westliche Ufer nicht näherkommen will.
Aber das Timing ist letztlich gut. Ich gehe an der öffentlichen Anlegestelle in Friedrichshagen Von Bord. Etwas ungeschickt baue ich das Kajak direkt vor den hier sitzenden abendlichen Seebesuchern auseinander. Die schlußendliche Faltung der beiden Origami-Hälften aneinander vorbei zum handlichen Paket will mir erst nach etlichen Anläufen gelingen.
Nach kurzer Verschnaufpause am Ufer bleibt nun noch ein langer, mühseliger Weg mit der wackligen Sackkarre über die abendliche Bölschestraße, die Ausgeh- und Diniermeile Friedrichshagens bis zur S-Bahn. Und dort präsentiert sich der übliche Wahnsinn am Samstag Abend in den öffentlichen Verkehrsmitteln in und um Berlin. Krakeelende Betrunkene mit brüllend lauten Ghettoblastern und gehirntot stumpfen Malle-Hymnen auf dem Bahnsteig sorgen leider für den sofortigen Abbau des Zen-Effektes, den der windstille Müggelsee in der Abenddämmerung grade noch hinterlassen hatte. Ich habe einige Mühe, die Erinnerungen an die Tour unbeschädigt mit nach Hause zu nehmen. Warum beschleicht mich in letzter Zeit immer öfter der Gedanke: Berlin ist eine Ausreise wert?
Nachtrag: Ist die alte Löcknitz nun doch befahrbar ab Fangschleuse oder nicht? Diese Frage wollte ich unbedingt noch für mich beantworten und die Antwort ist: leider nein! Jedenfalls nicht, wenn man nicht viele dutzend Male aussteigen und über umgekippte Baumstämme übersetzen möchte. Aber es gibt einen schönen Wanderweg entlang des Flüßchens, der über knapp 8 Kilometer von der Brücke bei Fangschleuse bis nach Erkner zum Dämeritzsee führt. Hier habe ich ein paar Fotos gemacht: