Potsdam rund

17.-18.06.2021 - 2-tägige Kajaktour auf Potsdamer Havel, Seen und Kanälen

Länge: 46 km



Potsdam ist eine Insel in Brandenburg. Was zu beweisen wäre.

Nach fast 2-jähriger Kajakpause (ein paar Minirunden auf Finowkanal und Werbellinsee ausgenommen) sitze ich mit Lampenfieber und 2 großen Packsäcken bei mehr als 30′ Celsius in der S7 Richtung Potsdam.

Das Ziel: in 2 Tagen auf Havel, Seen und Kanälen einmal rund um Potsdam zu paddeln.

Das Problem: mein alter Mercedes ist kaputt, seit Wochen in der Werkstatt und so kann ich nicht mit dem eigenen Kajak anreisen. Die diversen Carsharing-Anbieter haben leider alle eines nicht oder selten: Autos mit Dachreling, auf denen man fix einen Dachgepäckträger installieren könnte. Eigentlich eine Marktlücke, denn ein paar grössere IKEA-Pakete wollen auch Anhänger der Share-Economy öfter mal transportieren, ohne dafür gleich eine Pritsche anmieten zu müssen. Außerdem kann man die meisten Wagen nur im Stadtgebiet stehen lassen. Eine Rundtour würde damit teuer (Mehrtagesmiete), eine Einwegtour schlicht unmöglich. Ich hatte lange gegrübelt und schon überlegt, kurzerhand ein Falt- oder Origamiboot zu kaufen. Das Nortik Fold 4,2 gefällt mir, leider hat es lange Lieferzeiten. Die Vorstellung, mit einem Kajak auf dem Trolley und einem Packsack auf dem Rücken mit Bahn und Bus direkt an Fluss oder See zu reisen, ohne die ganze Logistikplackerei, ist schon faszinierend.

Aber gut: es gibt ja noch kurzfristige und günstigere Alternativen. Ich ringe mich dazu durch, einfach ein Kajak zu leihen, so wie es Horden von Freizeitpaddlern ja auch machen. Warum ich nicht früher darauf gekommen bin? Ehrlich gesagt haben mich die schweren, hässlichen und geschundenen Plastiktrümmer, die meist im Verleih sind, abgeschreckt. Ein Kajak ist auch eine Extension des eigenen Körpers, das muss einfach passen, bzw. sollte das Kajak den eigenen mehr oder weniger fitten Körper zumindest zeitweise in einen eleganten Delphin verwandeln.

Direkt am S-Bahnhof Griebnitzsee gibt es den kombinierten Fahrrad-, SUP- und Kajakverleih: „Potsdam per Pedales„. Man kann online reservieren und mit Kreditkarte bezahlen, der Tag kostet 30 EUR. Ich miete einen Prijon Dayliner für einen Tag und kläre telefonisch, dass ich das Kajak noch für einen weiteren Tag mieten will.

Der See liegt gleich über die Straße ein paar Treppen runter. Ein Mitarbeiter hilft beim Tragen und das ist auch nötig. Prijon hat es geschafft, das 4,20 m kurze Kajak aus 25kg zähem HTP-Plastik zu pressen – ich habe fast den Eindruck, hier musste überschüssige Plastemasse entsorgt werden. Das Kajak ist breit, kurz und unglaublich  klobig und wird mich zum Freizeit-Deppenpaddler stigmatisieren. Aber das ist okay, denn ich bin gleich und endlich wieder auf dem Wasser und das entschädigt für alles. Und über Bug und Heckluken gibt es im Dayliner immerhin genug Stauraum für Zelt, Schlafsack und Lebensmittel.

Am Steg herrscht hektischer Betrieb, ganze Teenager-Gruppen wollen versorgt werden, SUPPer kommen im Sekundentakt rein und raus. Aber der Griebnitzsee liegt verlockend vor mir, und endlich kann es losgehen.

Griebnitzsee
Blick über den Griebnitzsee

Das 08/15 Alupaddel liegt leider schwer in der Hand. Mit einer extrem nach oben gewölbten vorderen Sitzluke, die auch der größte vorstellbare Bierbauch nicht ausfüllen könnte und tiefliegender Sitzschale, gibt es im Dayliner leider nur 2 mögliche Paddeltechniken: entweder extrem steil und anstrengend oder flacher mit kurzen plätschernden Schlägen nah am Körper, wie man es von den herumtrudelnden Gelegenheitspaddlern kennt. Ich kann mich nicht entscheiden und meine Schultern ziehen schon unangenehm. Ein Sitzkissen wäre hilfreich. Hoffentlich habe ich mich mit dem Tagesziel von ca. 20km bis zum Campingplatz „Blütencamping Riegelspitze“ kurz vor Werder nach so langer Kajakpause nicht übernommen. Immerhin kommt das Kajak auf gemächliche 5km/h Fahrt und liegt stabil und spursicher im Wasser.

Nach 2 Kilometern bin ich auf dem kurzen Stück Teltowkanal angekommen, der in die Havel mündet. Linkerhand grüßt das ehemalige Maschinenhaus des Schlosses Babelsberg und rechts um die Ecke wird auch schon die vom ständigen Agentenaustausch in früheren Zeiten historisch schwerbeladene Glienicker Brücke sichtbar.

Maschinenhaus Schloss Babelsberg
Ausfahrt aus dem Teltowkanal – Maschinenhaus Schloss Babelsberg

Es geht nun hart Backbord in den Tiefen See, an der Wasserfontäne vorbei und mit der Potsdamer Stadtkulisse in der Kimm. Der Bootsverkehr ist mäßig, ein paar Joghurtbecherjachten rauschen daher, Tretboote trudeln, Hausboote manövrieren, wenige Paddler ziehen entgegen, der Wind ist leicht und von achtern einfallend. Die Sonne brennt und die Sonnencreme ist sicher und unnahbar  in der Heckluke verstaut.

Tiefer See bei Potsdam
Tiefer See bei Potsdam

Schon verengt sich der Tiefe See. Es geht unter der Humboldtbrücke hindurch und bei der Insel der Freundschaft heißt es rechts halten und durch die Alte Fahrt hindurch. Die Neue Fahrt gradeaus darf nur mit Motorantrieb befahren werden. Die Seitenflügel des Barberini Museums kommen am rechten Ufer in Sicht, bei der Kulisse des Mercure-Hotels mit klassischem DDR Flair vereinen sich dann nach nicht mal 1 Kilometer auch schon wieder Alte und Neue Fahrt.

Alte Fahrt
Alte Fahrt

Von nun an wird es spannend, denn die bevorstehende Strecke kenne ich noch nicht. Nach rechts und dann wieder links geht es knapp 3 km über die Potsdamer Havel durch unspektakuläres Vorstadtambiente mit Hochhäusern und kleineren Bootsstegen.

Potsdamer Havel
Potsdamer Havel

Erst hinter der Halbinsel Hermannswerder öffnet sich der Templiner See nach Südwest. Nach etwa 1 km unterquere ich eine Eisenbahnbrücke und gelange nach nochmal 2 km nach Caputh, dem einstigen Einstein-Domizil. Vielleicht kreuzte Einstein hier in seinem rustikalen Jollenkreuzer über den See und dachte über Relativitäten nach.

Auf dem Templiner See
Auf dem Templiner See

Ich dagegen paddele zunächst rechts unter einer Eisenbahnbrücke in den kleinen Petzinsee, an dessen Ende laut Jübermann ein kleiner Graben in den Schwielowsee führen soll. Dieser ist aber nicht in Sicht und ich entschließe mich, lieber umzudrehen und weiter über Caputh in den Schwielowsee zu paddeln. Hier ist eine Seilfähre in Betrieb, die etwa im 15-Minutentakt die Durchfahrt zum Schwielowsee quert. Bevor sie ablegt und sich das Seil spannt, gibt sie durch ein Hornsignal Bescheid, also keine Panik.

Seilfähre bei Caputh
Seilfähre bei Caputh

Durch die Caputher Gemünde, ein kurzes Verbindungsstück, geht es nun in den Schwielowsee, der sich weitläufig nach Südwesten ausbreitet. Ich nehme aber sogleich Kurs Nordwest, das Tagesziel ist nun nur noch 3km entfernt, die Kraft hat trotz der langen Paddelpause gereicht. Unter einer Straßenbrücke, die die B1 überquert, geht es wieder in die Havel und dann unter einer kleinen Brücke links in den Glindower See, wo sich am linken Ufer der Campingplatz „Blütencamping Riegelspitze“ mit einer Marina befindet.

Einfahrt in den Glindower See
Einfahrt in den Glindower See

Etliche Verbotsschilder schrecken zunächst vorm Landgang ab. Wie ich von Campinggästen an der Marina erfahre, gibt es aber links der Marina in der nördlichen Bucht des Sees einen kleinen Stichkanal, der zu einem Kajaksteg direkt an der Rezeption führt.

Steganlage Blütencamping Riegelspitze
Steganlage Blütencamping Riegelspitze

Die Dame an der Rezeption ist sehr nett, der zugewiesene Zeltplatz liegt grade mal 30 Meter vom Steg, es gibt eine überdachte Sitzgelegenheit und einen Trinkwasserhahn. Nur vor der glühenden Sonne bin ich nicht geschützt und baue im Schweiße meines Angesichts das kleine Zelt auf, um dann am südlichen Ende des Campingplatzes erstmal in den Glindower See zu springen und auf einer Bank am Strand wieder etwas zu Kräften zu kommen.

Eine Dose Ravioli und ein Viertele Rotwein später kommt die große Müdigkeit nach der Tour, aber ich muss noch eine Weile am See ausharren, bis die Temperatur im Zelt unter Backofenniveau gesunken ist. Als ich dann nach Mitternacht kurz aufwache, wundere ich mich über das anhaltende Dämmerlicht im Zelt. Es ist fast Mittsommer, aber soweit in die Nacht sollte die Sonne in unseren Breiten eigentlich nicht reichen. Das irreale Gefühl löst sich erst, als ich bemerke, dass mein Zelt direkt im hellen Lichtkegel einer Laterne steht. Ein echter Anfängerfehler. Immerhin verschonen mich die Mücken.

Am nächsten Morgen nach einem erfrischendem Bad im Glindower See, gefolgt von Müsli und Kaffee verproviantiere ich mich im nahegelegenen Einkaufszentrum am Werderpark. Schon steigt die Temperatur wieder – bis 35′ Celsius sind zu erwarten. Aber auf dem Wasser ist das gut zu ertragen. Allerdings habe ich mir schon am Vortag einen veritablen Sonnenbrand eingehandelt und der ist auch unter einer dicken Cremeschicht nicht mehr wirklich zu schützen.

Kirche auf der Insel Werder
Blick auf die Havel-Insel Werder

Es geht nordwärts und dann links an der Halbinsel Werder vorbei. Hinter der Marina führt die Fahrt unter einer kleinen Brücke hindurch wieder in die Havel. Nach 1,5 km fließt die Havel in den Großen Zernsee, gut abgetrennt durch eine Eisenbahnbrücke. Rechts der Landspitze Wolfsbruch fahre ich dann nach etwa 2,7 km ein in die Wublitz, einen von surreal hypergrünen Erlenbrüchen am linken Ufer geprägten Nebenfluss der Havel, auf dem keine Motorboote erlaubt sind.

Bruchwald an der Wublitz
Bruchwald an der Wublitz

Andere Touren-Paddler machen sich rar auf dieser Fahrt. Als mir gleich zu Anfang der Tour ein Paddler in langem, schlanken und schnellen Seekajak entgegenkommt und ich freundlich nickend grüße, werde ich ignoriert in meiner trägen blauen Prijon-Badewanne. Was für eine Arroganz. Ich nehme mir jedenfalls vor, alle Kajaker kurz zu grüßen, ob nun im plumpen Mietkajak oder in einer Karbon-Rennmaschine. Zumindest, wenn sie nicht grade vollständig besoffen oder sonstwie grölende Proleten sind oder in Massen entgegenkommen. Die Psychologie des Grüssens scheint noch weitgehend unerforscht. Klar, dass man sich in einer Großstadt nicht den Mund fusselig grüsst. Anders auf dem Dorf oder wenn man Gleichgesinnten begegnet. Welche Schwellenwerte greifen hier? Ab wann hört man auf zu grüßen? Wann wird der Gruß aus Freude und Wohlwollen einem Fremden gegenüber gegeben und wann ist er nur lästige Pflicht und Knigge-Relikt? Die Grenzen sind fließend, aber de facto wird bei jeder Begegnung eine Entscheidung gefällt, die man aber für sich selbst nicht immer nachvollziehen kann.

Wublitz - Ausfahrt in den Schlänitzsee
Wublitz – Ausfahrt in den Schlänitzsee

Nach etwa 3 km endet die Wublitz und der anschließende  Schlänitzsee öffnet sich nach Norden. Im Hintergrund werden ankernde Schuten sichtbar, die einen Zwischenstop am Sacrow-Paretzer Kanal eingelegt haben oder in Warteposition für die Durchfahrt sind. Der Sacrow-Paretzer Kanal grenzt die „Insel“ Potsdam nach Norden ab und führt vorbei am Fahrländer See in den Jungfernsee, der wieder nach Süden zur Glienicker  Brücke führt. Auf dem Kanal sind einige mächtige mattschwarze Schutenverbände unterwegs, die aber kaum Schwell erzeugen.

Schute auf dem Sacrow-Paretzer Kanal
Schute „Extase“ auf dem Sacrow-Paretzer Kanal

Es geht gegen eine fast unmerkliche Strömung. Der Kanal hat durchaus Charme, die Natur hatte ja seit der ersten Befahrbarkeit 1876 auch fast 150 Jahre Zeit, sich hier etwas zurechtzuwachsen und die Ufer zu schmücken. Kurz vorm Fahrländer See mache ich eine kleine Pause hinter einer Pfahlpalisade, die das Ufer, das hier abschnittsweise nicht steinig, sondern sandig ist, vor Schwell schützt. Der sehr flache, fast quadratische Fahrländer See liegt offen und nur durch Holzpfähle begrenzt mit dem Kanal verbunden am linken Ufer, eine Durchfahrt für Kajaks wäre möglich.

Eisenbahnbrücke Sacrow-Paretzer Kanal
Eisenbahnbrücke über den Sacrow-Paretzer Kanal

Es sind nun noch ca. 9km bis zum Ziel, die Kräfte haben bis jetzt gehalten, aber die Schultern zwacken schon arg aufgrund der unergonomischen Kajakform mit der walfischartig aufgeblähten Sitzluke. Am Jungfernsee halte ich mich am rechten westlichen Ufer, dort brennt die Nachmittagssonne aufgrund des Baumbestands nicht so stark. Auch hier sind Schuten unterwegs, die ganze Havelschifffahrt nimmt offenbar den kürzeren Weg über den Kanal und überlässt die Potsdamer Havel den Freizeitkapitänen. Rechts kommen die Meierei am neuen Garten, die Villa Jacobs und schließlich das Schloss Cecilienhof in Sicht und geben der Tour noch einmal historisches Timbre. Interessant ist das solitäre Gebäude der Eremitage, das vom Wasser betrachtet mit seinem fensterlosen grauen Erscheinungbild im Kontrast zum Grün der Bäume und dem sonnenflirrenden Wasser steht und wie eine Mischung aus ausserirdischer Scheune, Minikloster und vorweggenommener anthroposophischer Architektur wirkt. Als ich es photografieren will, macht sich davor eine Rentnergruppe breit und will einfach nicht weichen. Sie müssen wohl oder übel mit aufs Bild und zerstören den architektonischen Purismus des merkwürdigen Gebäudes ein wenig.

Eremitage am Jungfernsee
Eremitage am Jungfernsee

Nun rundet sich die Tour, als die Glienicker Brücke in Sicht kommt. Noch einmal die Kulisse von Schloss Babelsberg, das Maschinenhaus und schon vereinnahmt mich der Teltowkanal und bringt mich zurück in den Griebnitzsee. Die restlichen 2 Kilometer bis zur Kajakverleihstation sind jetzt ein wenig Pflichtprogramm mit müden Muskeln und schmerzenden Schultern. Dennoch überwiegt eindeutig die Freude über eine gelungene Kajaktour auf den weiten Havelgewässern mit der Erkenntnis:

Potsdam ist eine Insel in Brandenburg. Quod erat demonstrandum.Havel an der Glienicker BrückeAuf der Havel vor der Glienicker Brücke

Info

Kartenansicht der Tour