Peenestrom: Freest – Peenemünde – Wolgast – Lassan – Anklam
12.-13.06.2018 - 2-tägige Kajaktour auf Peenestrom und Usedomer Achterwasser über Freest, Peenemünde, Wolgast und Lassan nach AnklamLänge: 60 km
Bei etwas durchwachsenem und windigem Wetter habe ich meinen Kajaktouren auf der Peene über ein verlängertes Wochenende ein weiteres Puzzleteil hinzugefügt. Ausgehend vom kleinen Fischerort Freest an der Mündung des Peenestroms in den Greifswalder Bodden bin ich über Peenemünde und Wolgast nach Lassan gepaddelt und am nächsten Tag weiter bis nach Anklam.
Nach der ernüchternden Erfahrung vor einigen Jahren, als ich, gestartet von Anklam auf dem Weg nach Wolgast, auf dem Peenestrom schon wenige Kilomer hinter der Zecheriner Brücke wegen zu starkem Gegenwind umkehren musste, habe ich dieses Mal genauer in den Wetterbericht geschaut.
Wind Stärke 3-4 aus West bis Nordwest ist angesagt und so verspricht der Kurs von der Mündung des Peenestroms in den Greifswalder Bodden nach Osten gute Bedingungen für die 2 geplanten Tagesstrecken von je ca. 30 km.
Der Ort Freest hat 2 Campingplätze und ich entscheide mich für den etwas näher zum Strand gelegenen Platz „Ostseecamping Peenemündung“, den ich am späteren Nachmittag erreiche. Hier werden Bungalows und Finnhütten vermietet, ebenso gibt es eine Zone für Wohnmobile. Der Komfort für Zelte ist eher schlicht, aber der Besitzer Michael ist sehr nett und quartiert mich zwischen 2 Bungalows ein, wo ich eine überdachte Terrasse nutzen kann. Ein Glücksfall, denn sofort nach dem Zeltaufbau fängt es erstmal an, in Strömen zu regnen. Erst kurz vor Sonnenuntergang hört der Regen auf und ich laufe zum Hafen und zum kleinen Strand daneben. Fischkutter und ihre Schuppen mit Netzen und bunten Kisten beherrschen den Hafen. Viele Fischer haben Protestschilder aufgestellt, auf denen sie sich über die Fangrichtlinien oder andere Regulatorien beschweren, die ihren Berufszweig zerstören würden. Ich gehe über eine flache Düne zum Strand, der flach abfällt und in eine schlickige Wattzone übergeht, in der ein paar Möwen herumtapsen.
Auf dem anderen Ufer ist entfernt das Kraftwerk der ehemaligen Nazi-Raketenfabrik Peenemünde zu sehen, ein mächtiger düsterer Backsteinziegelbau. Hier wurde in den Kriegsjahren die V2 entwickelt und getestet, bevor sie Richtung London abgefeuert wurde. Kriegsgerät, das dann durch den zwiespältigen Raketen-Godfather Wernher von Braun weiterentwickelt wurde zur Apollo Rakete und den Beginn der Weltraumfahrt einläutete. Fasziniert von dieser Verknüpfung von Kriegs-, Weltraum- und Medientechnologie hatte ich vor vielen Jahren einmal einmal im Rahmen eines Seminars für den in diesem Gebiet arbeitenden, inzwischen leider verstorbenen Medienwissenschaftler Friedrich Kittler eine Fahrt auf die Peenemünde vorgelagerte Insel Greifswalder Oie mitorganisiert, wo die Abschussversuche der V2 stattfanden. Während die meisten Teilnehmer bei stürmischer See, die dem kleinen Ausflugsdampfer schwer zu schaffen machte, schon grün und gelb wurden und sich mit Mühe fettige Aalhäppchen runterwürgten, dozierte Kittler die ganze Überfahrt unbeeindruckt und mit faszinierender Leidenschaft und großer Detailkenntnis daher. Schließlich torkelten wir benommen von Seegang und düsteren Nazilegenden auf der von Schafen und Ponys bewohnten kleinen Insel etwas verloren umher, wo tatsächlich noch einige grasüberwachsene Raketen-Abschussstände aufzufinden waren, die eher wie Hünengräber einer vergessenen Zeit wirkten.
Diese Erinnerungen im Sinn drehe ich noch eine Runde durch den kleinen Ort Freest und kehre zum Campingplatz zurück.
Am nächsten Morgen ist das Wetter weiterhin durchwachsen, immerhin regnet es nicht. Netterweise ist mir erlaubt, das Auto auf dem Parkplatz des Campingplatzes stehenzulassen und ich mache mich dem Kajakwagen auf den einige hundert Meter langen Weg durch eine Wohngegend zum westlichen Strandabschnitt. Etwas mühselig muss das Kajak durch eine Minidüne und einen Sandweg gezogen werden, bis ich im flachen Wasser einsteigen kann. Ein ordentlicher Schwell kommt aus dem Greifswalder Bodden, nur etwas abgeschwächt durch die westlich vorgelagerte Insel Ruden. Über den Himmel ziehen düstere Wolken.
Mein erstes Ziel ist der Hafen von Peenemünde, ca. 3 Kilometer entfernt am gegenüberliegenden Ufer. Hier imponiert neben dem zum Museum umgebauten Kraftwerk mit seinen Kohleförderbändern ein klobiges russisches U-Boot, das besichtigt werden kann. Peenemünde bedient den Militaria-Tourismus aus aller Herren Länder, vom Raketenmythos beflügelt. Da kann man auch mit einem U-Boot punkten, einer horizontalen Unterwasserrakete sozusagen, die zudem geholfen hat, die bösen Nazis besiegen, dachte sich vielleicht der Besitzer.
Es geht weiter auf dem ca. 300 Meter breiten Peenestrom. Den Wind im Rücken passiere ich schnell Kröslin am südlichen Ufer steuerbords. Hier gibt es einen großen Yachthafen, während der Freester Hafen ein reiner Fischereihafen ist. Nach weiteren 3,5 Kilometern lasse ich den Hafen von Karlshagen an Backbord hinter mir. Und noch einmal 6 Kilometer und ich bin bereits in Wolgast vor der imposanten blauen Hebebrücke, die hier den Peenestrom überquert.
Ich mache vor der Brücke einen Abstecher nach rechts zum seeartigen Stadthafen, in dem es an diesem Tag leider leicht nach Kanalisation riecht, der aber einen schönen Blick auf die Stadt öffnet. Auch der Wolkenvorhang hat sich inzwischen geöffnet, es erscheint freundliches Blau zwischen luftigen Wolkenkissen. Über einen Durchgangskanal links umrunde ich die Schlossinsel. Wer mag, kann hier am Steg eines Kajakverleihs pausieren und sich in einem der Cafés und Restaurants der kleinen Promenade verköstigen oder die Stadt besichtigen.
Eine alternative Rastmöglichkeit ergibt sich an der stromseitigen Inselseite am Steg des Wolgaster Kajakclubs, auf dessen Grundstück man auch übernachten kann. Ich unterquere die sehr flache Straßenbrücke. Rechts wird jetzt das Gelände der Wolgaster Peenewerft sichtbar mit einigen vorgelagerten Gewerbehallen in schäbigem Ostflair.
Die Peenewerft war die Hauswerft der DDR-Volksmarine, geriet nach der Wende in wirtschaftlichen Schlingerkurs und wird jetzt von der Bremer Lürssen-Gruppe betrieben.
Bevor ich das Werftgelände genauer inspiziere, unterquere ich zunächst noch einmal die Hebebrücke stromabwärts und kehre dann wieder um. Die blauen Hebelelemente wirken aus dieser Perspektive noch einmal imposanter.
Nachdem ich den trostlosen Teil des Werftgeländes stadtauswärts passiert habe, erscheint nun doch einiges Leben auf der Werft. 2 Marineschiffe liegen am Pier, auf dem Dock 2 weitere eingerüstete Schiffe. Es riecht nach Farbe. Offensichtlich gibt es hier doch noch etwas zu tun – der Krieg ist der Vater aller Dinge und treibt auch die hiesige Wirtschaft an.
Es ist nun nicht mehr weit, bis sich der Peenestrom zum Achterwasser öffnet, ich bin schon etwas erschöpft und suche nach einer Rastmöglichkeit, als ich am rechten Ufer eine kleine Sandbucht entdecke. Allerdings riecht es beim Anlanden penetrant nach Gülle. Als ich landeinwärts hinter einen kleinen Hügel blicke, grast dort eine große Rinderherde. Wahrscheinlich nutzen die Tiere die Bucht als Tränke und lassen ab und zu etwas fallen, was den Geruch erklärt. Stoisch ignoriere ich den Gestank und die Gefahr, von durstigen Rindviechern traktiert zu werden und ruhe mich etwas aus.
Auf der Weiterfahrt nehmen die achterlichen Windwellen deutlich zu, erst recht, als sich der Peenestrom zum Achterwasser öffnet. Backbord voran wird in einiger Entfernung die Halbinsel Gnitz sichtbar, die ich eigentlich ansteuern möchte. Kurz vor der Spitze liegt an der Westseite ein weiträumiger, etwas verwahrloster Campingplatz, der aber schöne Zeltmöglichkeiten an der Steilküste bietet. Und die Inselspitze des Gnitz bietet ein ganz eigenartiges, abgeschiedenes Naturerlebnis. Wenn ich allerdings die Wellen hochrechne, die sich dort vor der kleinen Steilküste nach etwa 5 Kilometern freier Wasserfläche und ungehinderter Angriffsfläche für den Wind auftürmen werden, wird mir etwas mulmig. Ich passiere einen Angelkahn und einer der beiden Angler fragt, ob es bei den Wellen nicht gefährlich ist für ein Kajak. Tatsächlich fühlt es sich noch nicht weiter beunruhigend an und ich wiegele ab. Ich würde mich ja nah am Ufer halten, das sei gar kein Problem.
Meine Entscheidung ist jetzt aber gefallen – ich werde das Achterwasser nicht queren, sondern am rechten Ufer etwa 9 km bis nach Lassan weiterpaddeln. Als ich Lassan gegen 18 Uhr näherkomme, ist das schlechte Wetter zur Gänze verflogen, stattdessen blauer Himmel mit Schäfchenwolken. Links vom kleinen Yachthafen öffnet sich ein kurzer Stichkanal, an dessen Ende der Campingplatz Lassan liegt.
An einem flachen Betonsteg steige ich aus. Gleich daneben liegt eine Zeltwiese, während der übrige Platz eher von Wohnmobilisten und Dauercampern genutzt wird. Ich melde mich an und baue schnell das Zelt auf. Nur ein sächsisches Radlerpärchen aus Radebeul teilt die Wiese mit mir. Praktisch: An der Hecke am Wiesenrand steht ein unverschlossener Stromkasten, der sich ideal – und ganz offiziell – zum Akkuladen eignet. Auf der Terasse des Campingrestaurants, dessen Speisekarte durchaus sehenswert ist, verspeise ich heimischen Matjes mit Bratkartoffeln und mache mich kurz vor Sonnenuntergang noch auf den Weg in die Ackerbürgerstadt Lassan. Die Ministadt mit Kirche und zum Hafen führenden Straßenzügen macht einen kompakten, intakten und idyllischen Eindruck, auch wenn auch hier einiger Leerstand sichtbar ist. Am Hafen fährt grade ein kleiner alter Zweimaster mit Gaffelbetakelung ein, gesteuert von einer Alleinseglerin. Die Kaianlage bietet eine klare und schöne Sicht über die Weite des Achterwassers, das nur noch von ganz feinen Wellen gekräuselt wird.
Der nächste Morgen wartet wieder mit ungemütlichem Wetter auf. Der Himmel ist trübe und wolkenverhangen, der Wind weht mit 3-4 Beaufort aus West. Die ersten Kilometer eignen sich daher gut, um das Windpaddle auszuprobieren. Viel Fahrt macht das Seayak nicht damit, vielleicht 3 km/h. Nach etwa 2 km dreht der Wind etwas nach Süd, mit etwas Schoten-Trickserei kommt das Windpaddle aber auch noch mit nahezu halbem Wind klar, wirklich effektiv ist aber nur achterlicher Wind. Nach knapp 3 km ist schon Schluss mit der Segelei, denn ein Reusenzaun zieht sich tief ins Achterwasser und muss erst einmal weiträumig umschifft werden. Der Wind dreht weiter oder mein Kurs Richtung Südost führt dazu, dass der Rückenwind zunehmend zum Gegenwind wird, ein ordentlicher Schwell baut sich zusätzlich auf. Mir wird klar, dass dieser Tag deutlich anstrengender werden wird als der gestrige. Das Ufer an Steuerbord ist durchweg von einem breiten Schilfgürtel gesäumt.
Nach etwa 2 Stunden verspüre ich einen deutlichen Druck auf der Blase. Eine Möglichkeit zum Anlanden suche ich vergeblich. Was tun? Eine Dose zum Pullern habe ich nicht griffbereit. Ich kombiniere: wo Schilf ist, ist das Wasser einigermaßen flach, vielleicht flach genug, um einfach auszusteigen. An einer Stelle zieht sich der Schilfsaum zusätzlich etwas zurück. Ich teste die Wassertiefe mit dem Paddel und tatsächlich, es ist grade mal knietief. Beherzt jongliere ich das rechte Bein aus der Luke und – versinke sofort bis zu den Knien im Boddenschlick und stehe bis zum Bauchnabel im Wasser. Ich kann grade noch eine Kenterung verhindern und das linke Bein nachziehen. Pitschnass stehe ich neben dem Kajak und bin erstmal perplex. Jeder Schritt Richtung Schilfrand lässt mich weiter versinken. Um ordentlich nachdenken zu können, gebe ich erst einmal dem Bedürfnis meiner Blase nach, die mich in diese Bedrouille gebracht hat. Zum Glück habe ich das Paddlefloat dabei, das jetzt zum ersten echten Einsatz kommt. Tatsächlich kann ich meinen Stand etwas stabilisieren, indem ich auf die Wurzeln eines Schilfbüschels trete und das Einstiegsmanöver mit dem Paddlefloat (Festklemmen des Paddels hinter der Sitzluke, Raufrobben aufs Kajak und Einfädeln der Beine in die Sitzluke bei gleichzeitiger Drehung und kontinuierlicher Gewichtsverlagerung auf Paddlefloatseite) klappt dann tatsächlich auf Anhieb, uff. Unter der Spritzdecke ist die Nässe halbwegs auszuhalten. Etwa 2 Kilometer weiter etwas unterhalb der landeinwärts gelegenen Ortschaft Jamitzow findet sich ein einsamer Rastplatz mit einem kleinen Privathafen, in dem ein merkwürdiges Miniaturkajütboot liegt. Ich steige kurz aus. Der verlassene Ort wirkt etwas gespenstisch. Das grasumwachsene Oberteil eines alten DDR Militärfahrzeuges wirkt mit seinen schrägen Oberlichtfenstern wie eine Raumstation aus einem Survival-Horrorfilm. Ein demoliertes Sanitärgebäude und ein windschiefes Holz-Plumpsklo stehen herum, als würden sie mich nachträglich für meine missglückte Pinkelaktion necken wollen. Es ist unklar, ob der Platz öffentlich nutzbar ist oder sich in Privateigentum befindet. Für eine Übernachtung würde er sich sicher eignen. Tatsächlich ist es auf der südlichen Uferseite die einzige Anlandemöglichkeit auf der Strecke von Lassan bis Zecherin, die ich finde.
Es sind nun noch 4,5 km bis zur Zecheriner Brücke, dem letztem Wegpunkt im Peenestrom, die bei weiter auffrischendem, nun schräg von vorn kommenden Wind recht beschwerlich werden. Knapp 2 km hinter der Brücke bin ich schließlich an der durch eine Fahrwassermarkierung gekennzeichneten Mündung des Peeneflusses in den Peenestrom angelangt und lege in einer kleinen Schilflücke noch einmal Rast ein für die noch bevorstehenden knapp 10 Kilometer gegen Strom und Wind bis zum WWR Anklam.
Diese Restkilometer sind anstrengend, ich versuche mich im Windschatten der Schilfufer zu halten. Landschaftlich ist hier nicht viel zu sehen, man ist eingeschlossen von den Schilfufern, hinter denen nur gelegentlich etwas Bruchwald hervorlugt.
Nach etlichen Windungen erscheint endlich der kleine Hafen des Yachtsportklubs Anklam auf der linken Uferseite und dann die etwas triste industrielle Stadtkulisse von Anklam mit Speichern, Brücken, Kaianlagen. Hinter der Stadt gelange ich schließlich zum Wasserwanderrastplatz am linken Ufer. Nur wenige Gäste sind hier, 2 etwas vierschrötige Kanuten, ein Radlerpärchen und später am Abend noch eine Mädchengruppe, ebenfalls auf Fahrrädern. Der Platzwart hat mein Fahrrad wohl verwahrt und händigt mir den Schlüssel für Eingangstor und Duschräume aus. Ich versuche, meine immer noch nasse Kleidung im Wäschetrockner zu trocknen, was nur ansatzweise gelingt.
Zur Belohnung und kontemplativen Betrachtung meiner paddlerischen Meisterleistung will ich mir eine Pizza gönnen, aber Anklam zeigt sich von der trostlosen Seite. Bei einer Radtour quer durch die Stadt entdecke ich einzig eine schrabbelige Bestellpizzeria und einen geschlossenen Schnellimbiss mit Pizzaangebot, dafür viele geschlossene Geschäfte und einen erheblichen Sanierungsstau. Anklam ist eindeutig eine Verliererstadt der Wende. Bei einer Arbeitslosenquote von aktuell 14,1 Prozent haben hier wohl nur wenige Einwohner genug Geld, um eine gastronomische Szene lebendig zu halten.
Am nächsten Morgen folgt die übliche Rückholprozedur. Immerhin wirkt die Stadt jetzt rund um den Marktplatz etwas lebendiger. Mit dem Fahrrad hole ich das Auto aus Freest. Die etwa 40 km lange Wegstrecke führt über eine schöne Feld- und Wald-Landschaft.