Odertour Hohensaaten – Mescherin
03.-05.07.2017 - 2-tägige Kajak-Tour auf der Ost- und WestoderLänge: ca. 64 km
Nach der 2016er Tour von Güstebieser Loose bis Hohensaaten wollte ich mit dieser Fahrt den nachfolgenden Oderabschnitt entdecken und die Oder weiter stromabwärts erkunden. Natürlich nicht die Hohensaater-Friedrichsthaler Wasserstrasse, die ab Hohensaaten gewerblichem und privatem Schiffsverkehr einen bequemen Kanal bis zur Westoder bietet, sondern die lebendige, strömende Ostoder. Die alte Schleuse in Hohensaaten bildete den Ausgangspunkt, so dass ich nahtlos an meine vorjährige Fahrt anschließen konnte. Das Auto am Parkplatz abgestellt und das Seayak samt Gepäck auf dem Kajakwagen auf die weit in den Strom ragende Buhne befördert, konnte es gleich losgehen.
Nach ein paar hundert Metern passiere ich, von Strom, Wind und Paddel zügig vorangetrieben, die symbolträchtige Oder-Kilometermarke 666 – in der Hoffnung, dass auf dieser Tour trotzdem alles mit rechten Dingen zugehen würde. Die Oder hat auf diesem Abschnitt eine Fliessgeschwindigkeit von ca. 4 km/h und zerrt schon mächtig an den Fahrwasserbojen. An den flach ins Wasser führenden Buhnen bilden sich kleinere Stromschnellen und Strudel. Hohensaaten bleibt schnell zurück, auf der polnischen Seite zeigen sich waldige Anhöhen und vereinzelt kleine Gehöfte oder Ortschaften. Ich bin allein, auf der ganzen Fahrt sehe ich nur 2-mal pausierende Faltboote am polnischen Ufer. Ansonsten wird die Westoder stromabwärts sporadisch von kleinen Yachten auf dem Weg ins Stettiner Haff genutzt und ab und zu kommen große Schubverbände die Oder hinaufgeschnauft. Diese erzeugen kaum Wellenschlag und sind so langsam, dass man ihnen rechtzeitig ausweichen kann. Das Wetter ist durchmischt, warm aber recht windig, dichte Wolkengruppen ziehen tiefergelegt von Westen übers Land.
Das logistische Problem auf dieser Fahrt: die Ufer der ohnehin infrastrukturschwachen Oder werden durch den bald hinter Hohensaaten beginnenden Nationalpark Unteres Odertal, ein Binnendelta, das zwischen Westoder und Ostoder liegt, zu einer No-Go Area, die Polderflächen und Durchfahrten zur Westoder (vereinzelt sind hier Flutschleusen zu sehen) dürfen nur im Rahmen geführter Touren befahren werden. Wer übrigens denkt, der Nationalpark stellt sich von der Oder aus als wilder Dschungel dar, wird enttäuscht. Aus der Oderperspektive wirkt das Ufer monoton und flach, was sich dahinter an unberührter Polder und Auenlandschaft verbirgt, ist nicht einmal zu erahnen. Die polnische Seite ist da wesentlich interessanter.
Übernachten ist nicht gestattet, möglicherweise kann man auf der polnischen Seite biwakieren, wie es sicher auch die zahlreichen polnischen Angler machen. Mein Tagesziel ist daher das Wassersportzentrum der an der Hohensaatener-Friedrichsthaler Wasserstrasse gelegenen Stadt Schwedt, die über die Schwedter Querfahrt von der Ostoder aus zu erreichen ist. Der Abstecher addiert allerdings ca. 12 km zur Tourstrecke, da die Schwedter Querfahrt stromabwärts erst einige Kilometer hinter dem Ort Schwedt beginnt und südwestlich zurückführt.
Nach kurzer Rast an einem der typischen kleinen Sandstrände zwischen den Buhnen hinter dem sich auf polnischer Seite öffnenden Poldersee bei der Ortschaft Bielinek und weiteren 15 Kilometern stromabwärts gelange ich auf Höhe des Ortes Ognica westwärts in die Schwedter Querfahrt.
Der bisher schräg von treibende Wind bläst jetzt mit einiger Kraft von vorne, die unterstützende Strömung ist dahin. Es werden anstrengende 3 Kilometer bis zur Schleuse in die Hohensaatener-Friedrichsthaler Wasserstrasse. Die Schleuse hat leider nur bis 17 Uhr geöffnet und es ist nun nahezu 18 Uhr. Über einen steilen Hang ziehe ich das Kajak hinauf auf das Schleusengelände und dann nach kurzem Gespräch mit der sich grade in den Feierabend verabschiedenden Schleusenwärterin, der ich mich schon für den nächsten Vormittag ankündige, per Bootswagen hinüber auf die andere Seite. Kajakstege sind nicht vh., bzw. werden durch ein Serviceboot der Schleuse blockiert. Aber es funktioniert auch so.
Nach etwa 2 Kilometern südwärts erreiche ich schließlich die Schwedter Marina und lege dort am flachen Schwimmsteg des Rudervereins an, wo neben Ruderern auch eine Gruppe von Jugendlichen die ersten Paddelerfahrungen macht. Man begrüßt mich freundlich und bietet sogar an, für eine Nacht direkt auf der Wiese hinter dem Steg zu übernachten. Ich schaue mir aber zunächst den hinter dem Wassersportzentrum gelegenen kleinen Campingplatz an. Da hier noch genügend Platz vh. ist – hauptsächlich scheint der Platz von Jugendgruppen, Radfahrern und Wohnmobilen genutzt zu werden – entschließe ich mich, das Kajak per Bootswagen die 200 Meter über Land dorthin zu verbringen und schlage mein kleines Zelt auf. Leider gibt es keine Schlüssel mehr zu den Sanitäreinrichtungen, die zu einer Turnhalle gehören, die zum Glück bis 21 Uhr geöffnet ist. Die Übernachtung kostet 7 EUR.
Am nächsten Morgen unternehme ich einen kleinen Stadtbummel durch Schwedt . Die Aussicht vom Wassersportzentrum zeigt zunächst eine abweisende öde Plattenbaufront, aber dahinter zeigt sich, dass die Schwedter einiges unternommen haben, um das deprimierende Image einer abgehalfterten Ost-Industriestadt abzulegen. Auch hier dominieren Plattenbauten, aber meist wertig saniert und mit viel Grün drumherum.
Der rudimentäre Rest an Altstadt um die Vierradener Straße – Schwedt wurde im zweiten Weltkrieg zu 85% zerstört – zeigt sich dagegen etwas leblos. Ein Café oder zumindest einen Bäcker suche ich vergeblich. Etwas weiter südlich strahlt die breite und schnurgrade Lindenallee, gesäumt von mächtigen Plattenbauten, eine retrohafte sozialistische Aufbruchsstimmung aus und führt mich wieder zum Ufer der Hohensaatener-Friedrichsthaler Wasserstraße, das hier mit kleinem Park und Promenade touristisch aufbereitet ist. Über den Uferweg und die Berliner Straße gelange ich wieder Richtung Wassersportzentrum und verproviantiere mich im nur 200 Meter von der Marina entfernten Supermarkt. Über die Steganlage der Marina startet nun die 2. Etappe meiner Odertour mit einer Länge von ca. 27km.
Die Fahrt führt zunächst zurück über den Kanal zur Schleuse. Da niemand auf meine Anwesenheit reagiert, recherchiere ich die Telefonnummer der Schleuse auf dem Handy und rufe kurz durch. Sofort eilt die Schleusenwärterin aus ihrem Häuschen und öffnet die Schleusentore. Wenn es denn überhaupt eine Schleuse ist – der Wasserstand zwischen Kanal und Schwedter Querfahrt scheint nur um wenige Zentimeter abzuweichen, die Schleusung dauert keine 5 Minuten. Wahrscheinlich wird die Schleusenfunktion nur bei Hochwasser nötig. Zurück zur Ostoder geht es nun mit kräftigem Rückenwind aus West. Als ich nordwärts in die Oder einbiege, bemerke ich, dass sich der Flusscharakter schon deutlich verändert hat. Die Strömung ist kaum noch merklich, anstelle der Buchten und kleinen Strandpartien säumt Schilf die Ufer.
Mein Plan ist, hinter dem Städtchen Widuchowa, ca. 7 km entfernt, in die Westoder einzubiegen und dann über Gartz nach Mescherin zu gelangen. Das Wetter hat sich verschlechtert, es ist durchgehend bewölkt und windig. Nach einigen Kilometern sehe ich am polnischen Ufer 2 Paddler, die eine Deutschlandflagge an ihrem Boot befestigen. Ist das Tragen einer Flagge auf dem Grenzstrom Oder vielleicht Pflicht? Mir wird mulmig, als ich stromab 2 sehr offiziell wirkende größere Motorboote am polnischen Ufer bemerke. Mein Name ist Hase, ich weiss von nichts, ist meine Maxime und ich fahre möglichst nahe am deutschen Ufer an den polnischen Booten vorbei. Es passiert – nichts. Erleichtert paddle ich weiter, an der Ortschaft Widuchowa vorbei und nähere mich nun der Einmündung der Westoder, die einige hunderte Meter vom Ort entfernt links abzweigt – und bin verwundert: Anstelle der großzügigen offenen Einfahrt, die mir Googlemaps zeigt, existiert hier eine Art Absperranlage. Die Durchfahrt ist nicht erlaubt, größerer Schiffsverkehr würde auch gar nicht hindurchpassen. Ich fahre dicht heran und ärgere mich. Ein Steg oder eine andere Möglichkeit zum Anlegen und Übertragen ist nicht vorhanden. An einem Verwaltungshäuschen mäht ein Mann den Rasen und beachtet mich nicht weiter. Tja, da macht es auf einmal schwups und ich bin auf der anderen Seite in der Westoder, zur Nachahmung nicht empfohlen.
Der heftige Wind erzeugt Strudel und Schwälle direkt hinter der Anlage. Strömung von der Ostoder und durch den Wind ausgelöster Wasserdruck auf der Westoder scheinen an dieser Engstelle aufeinanderzuprallen. Ganz ungefährlich ist die Aktion vielleicht nicht und ich rätsele auch, ob das Befahren der Westoder nun überhaupt erlaubt ist oder auch noch Teil des Nationalparks ist. Da allerdings Schifffahrtszeichen auf der anderen Seite sichtbar sind, denke ich, das ist ok. Aber ich bin zunächst vollkommen allein auf weiter Flur und kämpfe die nächsten Kilometer mit heftigem Gegenwind und auch zunehmender Welle. Schilf rechts und links machen ein Anlegen und Pausieren unmöglich. Schließlich tut sich rechts eine Einfahrt auf, die im Windschutz liegt. Eine gurgelnde Strömung durch ein düsteres Sperrschott wird hier hinein in einen inneren Arm der Westoder auf polnischer Seite gezogen. Ich halte mich am Schilf fest und nehme einen kleinen Imbiss. Mit angelegter Spritzdecke fühle ich mich wieder sicherer, das Seayak geht wie gewohnt butterweich durch die Wellen, aber es bleibt anstrengend.
Auf der Weiterfahrt nach Gartz kommen mir zunächst ein Passagierdampfer und dann eine große Schute entgegen. Ich wundere mich, was die hier machen, da ich auf dem südlichen Ufer nur eine Einfahrt gesehen habe, die aber nicht durchfahren werden darf. Erst später sehe ich auf der Karte, dass die Hohensaatener Friedrichsthaler Wasserstraße hier auf der Höhe von Friedrichsthal abzweigt, die verbotene Einfahrt daher wohl die Ausfahrt ist und ich die Einfahrt in meinem Kampf gegen Wind und Welle schlicht übersehen hatte.
Nach einer Weile kommt der Kirchturm von Gartz in Sicht und nach einer Rechtskurve auch der kleine Hafenbereich mit Marina. 2 Brückenpoller im Strom verraten, dass man hier früher einmal über die Polderlandschaft nach Polen fahren konnte. Die Marina ist voll, auch einige niedrige Anlegestege, die gut geeignet wären für eine Rast, sind besetzt. Einen Besuch im Hafencafé wird es daher nicht geben und ich paddle weiter, nun doch reichIich erschöpft nach der langen Strecke mit Gegen- und Querwind.
Kurz hinter der Ortschaft öffnet sich am linken Ufer eine kleine Lücke im Schilf und ein idyllischer Rastplatz wird sichtbar, wie wunderbar. Nach einer halben Stunde Pause fühle ich mich gestärkt für die wenigen verbleibenden Kilometer nach Mescherin.
Es zeigt sich wieder mehr Verkehr auf dem Wasser, kleine Yachten und Motorboote sind unterwegs, das Wetter ist wieder freundlicher. Angekommen in Mescherin mache ich zunächst an der steinigen Uferbefestigung der Promenade fest und frage einen Anwohner nach dem Campingplatz. Dieser empfiehlt mir, gleich wieder einzusteigen und ein Stück zurückzufahren. Der Campingplatz am Oderstrom liegt an einem stillen unscheinbaren Arm der Westoder, der direkt an der Flusskurve, hinter der sich der Ort auftut, nach Südwesten zurückführt. Nach einigen hundert Metern Weg, vorbei an einem rostigen Schiffswrack, zeigt sich rechts der Campingplatz direkt am Ufer und an einer kleinen, mit grünem Rasenteppich ausgelegten Rampe steige ich aus. Mir wird ein kleiner Platz direkt am Ufer zugewiesen, wunderbar passend, um noch einmal die Tour zu resümieren.
Ein Spaziergang durch den Ort Mescherin, der einen recht abgeschiedenen Eindruck macht, schließt den Tag ab. Unbedingt erwähnenswert ist der grandiose Ausblick ostwärts vom Stettiner Berg nach Gryfino und in die Polder, insbesondere aber auf das im Hintergrund präsente surrealistische Kohlekraftwerk Gryfino, das mit seinen rotweissen Schornsteinen wie ein außerirdisches Raumschiff in der Landschaft steht, ein Industrierelikt in krassem Kontrast zur Naturlandschaft drumherum.
Am nächsten Morgen fahre ich mit einem Leihfahrrad des Campingplatzes über Gartz und Schwedt die ca. 55 km entlang des Oderradweges zurück nach Hohensaaten und hole den Wagen. Es ist für den ganzen Tag schwerer Dauerregen angekündigt, der auch schon am frühen Morgen eingesetzt hat und ich mache mich auf einiges gefasst, da ich grade mal eine einfache Regenjacke dabei habe. Aber wundersamerweise hört der Regen auf und es bleibt dann trocken, nur dramatische Wolkenlandschaften ziehen stetig über den Himmel. Der Radweg, auf dem einiges los ist, insbesondere auch eine steigende Zahl elektromobiler Rentnerpärchen, bietet schöne Einsichten in die Polderlandschaften, die vom Wasser selbst aus gar nicht zu sehen sind. Das sonst oft lästige Nachholen des Wagens ist hier weit mehr als eine Pflichtübung und eine eigenständige Radtour entlang der Oder ist schon in Planung.