Elbetour II – von Wittenberg bis Magdeburg
15.07 - 18.07.2025 - 4-tägige Kajaktour auf der mittleren Elbe von der Lutherstadt Wittenberg bis ins Zentrum von Magdeburg - mit Station in Coswig, Dessau/Roßlau und BarbyLänge: 115 km
Über 2 Jahre sind nun schon vergangen, seit ich meine erste Elbetour von 180 Kilometern von Schmilka über Dresden, Meissen, Mühlberg, Torgau, Elbe/Elster bis Wittenberg unternommen habe. Irgendwas hatte nie gestimmt, um die Tour fortzusetzen: das Wetter, fehlende Zeit, Auto kaputt, Arbeit, Zipperlein hier und dort. Im Grunde also alles faule Ausreden. Wie schön daher, dass ich mich endlich überwunden habe, die nächste Etappe zu starten. Über 4 Tage will ich von Wittenberg über Coswig, Dessau/Roßlau und Barby bis nach Magdeburg gelangen. Das sind etwas mehr als 100 Kilometer. Ich will mir auch Zeit einplanen, um etwas mehr über die Orte an der Elbe zu erfahren, die ich passiere.
Tag 1: Wittenberg bis Coswig – 24 km
Angekommen vor dem DKV-Bootshaus des WSG Wittenberg, wo ich meine erste Elbetour beendet hatte und nun fortsetzen wollte, stehe ich vor verschlossenen Toren und muss gleich improvisieren. Und finde tatsächlich auf Googlemaps einen kleinen und sogar kostenfreien Parkplatz am östlichen Stadtrand direkt vor den dortigen Elbauen.

Über eine Wiese gelange ich zu einer der typischen Elbe-Sandbuchten und genieße erstmal den Moment, wieder auf dem Wasser zu sein und von der Strömung getragen zu werden.

Ich paddele am noch verwaisten Vereins-Bootshaus vorbei und unter der Eisenbahnbrücke hindurch.

Rechts lugt die Schlosskirche Wittenberg mit ihrem prägnanten Turm über den Horizont und die Elbe lässt Wittenberg nun in langen geschwungenen Schleifen in Richtung Westen hinter sich.

Was in der Kartenansicht so malerisch aussieht, ist auf dem Wasser nicht unbedingt so wahrzunehmen, aber die Kurven bieten auch etwas Schutz vor dem Westwind, der sich wie immer bemerkbar macht. Für heute sind nur etwas mehr als 24 Kilometer geplant bis zum Städtchen Coswig, wo schon vor ein paar hundert Jahren der Humanist und Luther-Freund Philip Melanchton den schönen Blick auf die Elbe bewunderte.
Ich erfreue mich zunächst einmal an der Elbströmung, deren Kraft man beim Vorbeifahren an den Fahrwassertonnen bemerkt und die auch bei Gegenwind einen Speed von 7-8 km/h ohne allzugrosse Anstrengung ermöglicht. Von den apokalyptischen Warnungen extremer Trockenheit, die noch in der letzten Woche mit Bildern einer nahezu trockengefallenen Elbe bei Magdeburg in den Medien schockierten, ist wenig zu spüren.

Die Steinpackungen liegen selten mehr als einen knappen Meter frei und für mein Auge sieht das erstmal normal aus. Denn überschwemmte Steinpackungen hätten ja keine Funktion. Nahe der Sandbuchten kann es schon mal sehr flach werden, aber das jst ja auch kein Fahrwasser. Vielleicht haben die Regenfälle der letzten Tage die Situation tatsächlich normalisiert. Hinter Wittenberg taucht etwas Industrie am rechten Ufer auf. An einer Hafenmole liegt ein größeres Flusskreuzfahrtsschiff fest, das hier vielleicht wirklich noch auf dem Trockenen liegt, bevor es seine Reise fortsetzen kann.

Schon nach etwa 7 langgezogenen Elbschleifen und etwa 3 Paddelstunden liegt Coswig voraus mit dem gelben getünchten Schloss am rechten Ufer und einer Gierfähre davor. Etwa 1 Kilometer vor dem Ort befindet sich am rechten Ufer das Bootshaus des Kanuvereins Coswig (Anhalt), bei dem ich Rast mache. Ein Kanadierfahrer ist schon da, ebenso ein Vater mit seinen Kindern im Faltboot. Letztere haben in den letzten Tagen richtig schlechtes Wetter gehabt, waren völlig durchnässt, trocknen Ihre Siebensachen im Bootshaus und haben beschlossen, die Tour abzubrechen. Die Möglichkeit, in den Bootshäusern der Kanu- und Rudervereine so unkompliziert zu übernachten und der freundliche Empfang nähren einmal wieder die Hoffnung, dass es mit der Menschheit doch nicht so schlecht bestellt ist. Ich baue mein kleines Zelt mit einem großartigen Blick auf die Elbe und das Coswiger Schloß auf.

Später lerne ich den Kanadierfahrer „Tensch“ kennen. Er ist pensionierter Sport- und Biolehrer und schon seit Wochen auf der Elbe unterwegs – mit minimalen Equipment. Er hat sich in Prag einen alten Einerkanadier gekauft und ist seitdem unterwegs auf Moldau, Labe und nun der Elbe mit Ziel Geesthacht. Nicht mal ein Zelt hat er dabei – zur Not schläft er im Boot unter einer Plane. Beeindruckend. Wir beschließen, den ortsansässigen Italiener zu besuchen und später gesellt sich noch der Faltbootfahrer mit seinem Sohn dazu. Wir haben anregende Gespräche und einen wirklich schönen Abend auf der Elbterasse des Restaurants. Das Coswiger Schloss dagegen bietet einen traurigen Anblick aus der Nähe. Es ist stark renovierungsbedürftig mit abblätternder Farbe und teils kaputten und blinden Fenstern.

Kaum verständlich, wie man so ein Kulturgut derart dahinsiechen lassen kann. Mit der Nähe zum Touristenmagnet Wittenberg, den Geschichten vom nach Coswig wandelnden Melanchton und den Wörlitzer Parkanlagen am anderen Elbufer müsste sich die Investition in eine Sanierung doch eigentlich lohnen.
Tag 2: Coswig bis Dessau/Roßlau – 24 km
Am nächsten Morgen ist der Kanadierfahrer Tensch schon längst unterwegs. Er nutzt den frühen Morgen, da der lästige Westwind dann noch schläft. Der Vater mit seinen Kindern sitzt oben im Bootshaus auf gepackten Taschen und bereut den frühzeitigen Tourabbruch etwas. Denn das Wetter soll zwar wechselhaft bleiben, aber ohne die Wolkenbrüche der vergangenen Tage.

Ich mache mich auf den Weg und passiere als erstes die Gierfähre, deren Funktionsmechanismus ich jetzt besser verstehe: Auf der Uferseite, wo, etwa 1 Kilometer vorher, das Hinweisschild angebracht ist, befindet sich der Heimathafen der Fähre. Wenn die Fähre dort stillliegt, darf man auf der gegenüberliegenden Seite passieren. Allerdings schläft die Fähre nicht, sondern nimmt unentwegt Autos und andere Passagiere auf und fährt dann wieder los. Da das Seil, an dem die Fähre durch die Kraft der Strömung pendelt, schon so 200-300 Meter lang ist, muss man sich etwas sputen, um sicher vorbeizukommen. Es wäre ein Einfaches, einen Texthinweis anzubringen, der die Befahrensregelung kenntlich macht. Aber das spart man sich wohl – vielleicht braucht so eine Gierfähre hin und wieder ein Opfer, um ihrem Namen gerecht zu werden.

Nur wenige Kilometer hinter Coswig kreuzt die A9 die Elbe. Hier befindet sich am rechten Ufer eines der berühmtesten Wahrzeichen der DDR: der Aussichtsturm Vockerode aus dunklem Backstein, der jahrzehntelang den Werbespruch „Plaste und Elaste aus Schkopau“ trug, und damit das uneingelöste Heilsversprechen einer modernen sozialistischen Industriegesellschaft ebenso symbolisierte wie die Kehrseite der enormen Umweltverschmutzung durch die chemische Industrie, die man dafür in Kauf nahm, ohne doch jemals an das Konsumangebot der westdeutschen Bevölkerung und ihrer kapitalistischen Warenwelt anschließen zu können.

Mir wird ganz sentimental zumute, als ich unter der Autobahnbrücke hindurchpaddele. Dutzende Male bin ich in den 80er Jahren auf der Transitstrecke von und nach Westberlin hier vorbeigekommen. Ich verdrücke eine stille Plasteträne der Andacht und Rührung. Ab etwa 10 Uhr frischt der Wind deutlich auf und bläst nun zum Gegenangriff aus West. Aber nach Dessau/Roßlau sind es wie gestern auch nur 24 Kilometer, so dass genug Zeit für eine Stadtbesichtigung bleiben wird.

Mit einer kurzen Pause in einer Sandbucht bin ich nach knapp 4 Stunden am Ziel angekommen, der Paddelgemeinschaft Junkers im Norden von Dessau an einer Südschleife der Elbe. Einige Kanuten und Radfahrer sind bereits da, auch der Kanadier aus Coswig liegt schon auf der Zeltwiese. Für den Abend ist etwas Party angekündigt, da sich der Verein immer Mittwochs trifft.

Nach Lunch und kurzer Rast wandere ich auf den Spuren des Bauhauses durch Dessau. Irgendwie sieht hier alles etwas nach Bauhaus aus. Die neueren Häuser haben diesen schlichten Kastenstil, vielleicht sind die heftigen Kriegsbrachen hier in Anlehnung an die Bauhausarchitektur aufgeforstet worden oder reichere Dessauer mit Kulturbewußtsein haben in Elbnähe gebaut. Ich gelange schließlich zum heiligen Gral, den von Walter Gropius persönlich entworfenen „Meisterhäusern“, die etwas steril in einem kleinen, lichten Kiefernforst stehen.

Von dort geht’s weiter zum eigentlichen Bauhaus und ich mache das Foto, dass es schon hunderttausende Male gibt.

Danach wandere ich in die Innenstadt zum Bauhaus Museum. Letzteres, nach außen hin modern mit seiner spiegelnden Glasfassade, enttäuscht innen mit einer etwas muffigen Archivpräsentation von Bauhaus-Exponaten und -Dokumenten im Dämmerlicht. Klar, die Originaldokumente wollen lichtgeschützt sein, aber von einer lichtdurchfluteten Architektur und innovativem Mobiliar für einen neuen Lebensentwurf kann man bei den wenigen Exponaten in Vitrinen kaum sprechen. Es ist für mich jedenfalls kein Bauhaus-„Erlebnis“, sondern eher ein Bauhaus-Kataster. Nach einem Kaffee in der Innenstadt bemerke ich doch eine ziemliche Erschöpfung. Zurück auf der Zeltwiese des Bootshauses treffe ich auch den Vater mit seinem Sohn im Faltboot wieder, der sich als echter Bauhaus-Fan outet. Müde schlage ich einen Restaurantbesuch im nahegelegenen aber auch teuren Elbrestaurant Kornhaus aus, der sich bestimmt gelohnt hätte. Auch der Lehrer Tensch ist da – ebenfalls vom Kulturprogramm zurück. Wir helfen einigen Vereinsmitgliedern, ihr Riesenkanu den steilen Steg hinab ins Wasser zu lassen. Kaum stromaufwärts losgefahren, werden sie von einem heftigen Regenguss überrascht, der aber schnell endet. Ich trinke noch ein Glas Wein am Elbufer und gehe früh zu Bett, während die Gesprächskulisse der feiernden Vereinsmitglieder an meine oropax-versiegelten Ohren brandet.

Tag 3: Dessau/Roßlau bis Barby – 30 km
Am nächsten Tag ist wieder Wind angekündigt, aber noch – es ist 8 Uhr morgens – strömt die Elbe ruhig dahin und es ist sogar sonnig.

30 Kilometer bis zur kleinen Stadt Barby stehen auf dem Plan. Und schon nach der ersten Kurve ist er wieder da, der Westwind und wird von Kilometer zu Kilometer biestiger, da die Elbe hier kaum mäandriert und sich erst bei Aken etwas nach Nordwest wendet.

Was für den Wind keinen Unterschied zu machen scheint, denn sein Grundprinzip scheint zu sein: gegen den Strom, immer in Opposition. Ohne den fiesen Westwind wäre die Elbe wahrscheinlich nur noch ein trockengefallener Canyon, weil das Wasser zu schnell in die Nordsee ablaufen würde. Wolken ziehen auf und es wird langsam grauer und grauer, bis es am Ende sogar leicht zu regnen beginnt.
Nach knapp 15 Kilometern, die mir wie eine einzige Grade erscheint, passiere ich den Ort Aken. Hier befinden sich am linken Ufer einige Kanuvereine, die auch Übernachtungsmöglichkeiten anbieten.

Die letzten 2 Kilometer vor Barby werden noch einmal ein richtiger Kampf gegen Wind und Kabbelwelle.

Vor Barby fließt links auch die Saale nach 413 Kilometern in die Elbe, die jetzt noch ein Stück breiter wird und die jetzt vielleicht weniger ein Fluss als vielmehr ein Strom ist.

Bis zum Bootshaus des Kanuclubs SSV Blau-Weiss sind es jetzt nicht einmal mehr 800 Meter. Der Verein liegt etwas rückversetzt direkt vor dem Anlieger der Gierfähre am linken Ufer.

Die Imbissbude an der Fähre scheint ein sozialer Treffpunkt der Gegend zu sein. Die Fähre fährt ununterbrochen hin und her und so mancher hält kurz an auf ein Schwätzchen. Es herrscht ein etwas rustikaler Ton – wir sind hier auf dem Lande. Beim Imbisswirt Mario kann man auch den Zehner für die Übernachtung auf der Zeltwiese zahlen und sich aufschliessen lassen, da das Bootshaus nicht immer besetzt ist.
Als ich, geschützt vor dem Mistwetter, im Zelt liege und mich ausruhe, klopft es und draussen steht ein Paddler aus einer Gruppe, die ebenfalls aus Dessau kommt. Plitschnass in Gummistiefeln – er war in einem offenen Pakboat-artigen Kajak unterwegs – fragt er nach einem Ansprechpartner des Kanuclubs. Dieser ist allerdings erst für den Abend angekündigt und so baut die Gruppe erst einmal Ihr Zeltlager auf. Als der Regen etwas nachlässt, mache ich mich auf nach Barby für eine Stadtbesichtigung. Die eigentliche Stadt liegt 2 Kilometer entfernt und man kann über die Landstraße oder, wie ich auf dem Rückweg feststelle, auch über die Elbauen laufen. Barby ist ein ziemlich verschlafenes Kaff, aber es liegt am Elbe-Saale Radweg und im größten Auenwaldgebiet Europas. Das Restaurant, das ich mir ausgesucht habe, ist urlaubsbedingt geschlossen. Ich gelange zum „Prinzesschen“, einem zu den Elbauen hin gelegenen Turm, der Teil einer ehemaligen Befestigungsanlage und Stadteinfriedung ist. Ende des 18ten Jhdts. war hier eine Sternwarte der Herrnhuter Gemeinde untergebracht.

So hat Barby also auch historische Antennen ins Universum. Und so kann ich zumindest einen weiteren Haken an den Bereich „kulturelle Sehenswürdigkeiten“ an der Mittelelbe machen. Nach Supermarktbesuch und Rückmarsch über den Auenweg wird es ein etwas trübseliger Abend in nieselgrau.

Barby scheint die Hängepartie dieser Tour zu sein. Nicht mehr das konkrete Erleben der Elbe mit Sonne, Wind und Wasser steht im Vordergrund, sondern eher die abstrakte Idee, den großen Fluss Elbe zu befahren und dazu gehören eben auch die ungemütlichen Tage.

Tag 4: Barby bis Magdeburg: 37 km
Am nächsten Morgen ist es dafür wieder freundlicher. Am Vorabend war auch noch das Vater/Sohn Paar im Faltboot angekommen. Der Vater hilft mir beim Herunterbringen meines Kajaks über die steilabfallende Grasböschung. Wie ich wollen sie später auch nach Magdeburg. Eingestiegen, muss ich erst die Gierfähre abwarten, die wieder fleißig hin- und herpendelt.


Als ich nach einer knappen Stunde kurz Rast an einer Sandbank mache und grade wieder im Kajak sitze, kommt in der Strommitte ein Kanadier auf. Es ist der Lehrer Tensch, der am frühen Morgen aus Aken aufgebrochen war. Mit seinem alten Kanu und dem uralten schweren Holzpaddel kommt er nicht wirklich schnell voran, aber er verfolgt zäh und unermüdlich seinen Plan, mindestens bis Geesthacht zu gelangen. Wir reden kurz, aber dann gebe ich doch etwas Gas und lasse ihn mit seinem ausdauernden, aber gemächlichen Tempo zurück.

Die Elbe verläuft nach Barby zunächst weiter in nordwestlichen Richtung, um dann nach knapp 9 Kilometern eine Linksschleife nach Westen zu machen. In 2 großen Bögen und weiteren 11 Kilometern gelange ich nach Schönebeck. Vor dem Ort wird es auch langsam lebendiger auf dem Wasser. Erste Ruderer tauchen auf und die Elbbrücke bei Schönebeck kommt in Sicht.


Hier wird es jetzt auch etwas städtischer. Gewerbegebiet und Hafenanlagen ziehen sich linksseitig am Ufer hin und künden schon die Großstadt Magdeburg in der Ferne an.

In Dessau hatte mich ein Mitglied des Kanuvereins darauf aufmerksam gemacht, dass mein Kajak keinen Namen hat und die Wasserschutzpolizei manchmal nichts besseres zu tun hätte, als armen Kanuten ein paar Euros für diesen Verstoß abzuluchsen. Ich hatte zurückgefeixt, mein Kajak hieße doch „Prijon“ oder auch „Seayak“, je nachdem. Aber das wäre natürlich vergeblich. Es muss ein Name mit mind, 10 cm hohen Buchstaben rechts und links angebracht sein, dazu noch eine Innenbeschriftung mit Namen und Adresse.
Hinter Schönebeck eiert nun grade ein blauweisses Motorboot auf mich zu und ich bekomme doch Muffensausen. Zum Glück ist es gar kein Polizeiboot, sondern eine Charteryacht mit etwas unbeholfenem Kapitän. Angesichts der Tatsache dass ich auf der ganzen Elbetour bis jetzt grade mal eine handvoll Begegnungen mit anderen Booten hatte, dürfte es ja eigentlich auch ausreichen, wenn die Polizei mich mit „Hallo rotes Kajak, bitte mal rechts ranfahren“ ansprechen würde. Nun gut, vielleicht muss ich mir in Zukunft doch einmal Gedanken machen. Mir will nur partout kein Name einfallen.

Vor den letzten Kilometern mache ich noch eine kleine Pause. In Coswig hatte ich erfahren, dass die Kanuvereine fast alle rechtsseitig vor Magdeburg in einem Nebenarm der Elbe lägen, der aber stark versandet sei. Mit der Canua-App hatte ich dann gesehen, dass auch im Zentrum Magedeburgs, an der sog. Zollelbe, zwei Vereine beheimatet sind. Dort anzulanden hätte nicht nur den Vorteil, dass der Weg zum Bahnhof für das Holen des Wagens aus Wittenberg nicht so lang wäre und ich zum Abschluss auch noch ein Highlight der Strecke mitnehmen könnte: das Passieren des Domfelsens mit ordentlich Strömung und des berühmten Magdeburger Domes dahinter.
Magdeburg und der Dom kommen am Horizont in Sicht und tatsächlich sieht die Alte Elbe mit den Kanuclubs recht versandet aus.

Ich halte mich also links im Hauptstrom und umschiffe die Insel Alter Werder. Die beiden Türme des Magdeburger Domes werden größer und größer, zunächst noch hinter einer rostigen Eisenbahnbrücke versteckt.

Die Elbe verengt sich und ich passiere den am linken Ufer gelegenen Domfelsen, wo es tatsächlich etwas rauscht. Die Strömung nimmt zu und ist hinter dem Domfelsen auch rechts in meinem Fahrwasser deutlich zu spüren – leichtes Wildwasserfeeling kommt auf. Ein Kanute in einem Regattakajak kämpft sich entgegen der Strömung vor, offenbar eine gute Trainingsübung. Für mich ist das hier mit vollbepacktem Kajak und nach 37 Kilometern auch nicht mehr taufrisch, ein Point of no Return. Ich bin also gespannt, ob es die Ausstiegsmöglichkeiten und ggf. sogar Übernachtungsmöglichkeiten in der Zollelbe wirklich gibt.
Etwa 700 Meter hinter der Neuen Strombrücke geht es scharf rechts und zurück in diesen etwa 1 Kilometer langen Stichkanal.

Ich fahre einmal komplett bis ans Ende, wo sich laut Karte auch ein Wohnmobilpark und ein Yachthafen befinden sollen. Beim Kanuverein vor der Neuen Strombrücke ist ein Regattatraining in vollem Gange – daher paddle ich erst einmal weiter bis in die Sackgasse. Unter der Brücke liegt eine ausgebrannte und halb geschmolzene Plastikyacht und erzeugt ein ungutes Gefühl. Wie ich später aus der Zeitung erfahre, ist das Malheur erst am Tag zuvor passiert und das Besitzerehepaar flüchtig. Der Wohnmobilpark scheint komplett abgezäunt und vom Wasser her unzugänglich. Auch der Yachthafen bietet keine Anlegemöglichkeiten und von dort käme man nur über eine steile Stahltreppe an Land. Und in diesem sackgassenartigen Wasteland fängt es jetzt auch noch an zu nieseln.

Ich fasse mir also ein Herz und lege am Steg des Regattavereins an. Auch hier geht es steil nach oben. In einer Trainingspause frage ich den Trainer, der seine Schützlinge in ihren superschmalen und ultraleichten Regattakanadiern mit einem Megaphon instruiert, ob ich hier anlegen könne und mein Kajak für ein paar Stunden unterbringen könne. Tja, das sei schwierig, das ganze Vereinsgelände sei grade hinter einer Baustelle gelegen und quasi abgesperrt. Zelten sei gar nicht möglich. In ein paar Stunden wäre auch alles abgeschlossen. Er ruft einen Vereinkollegen an: ein Wanderpaddler sei angelandet, was nun? Ich komme mir ein wenig wie ein alter und überflüssiger weisser Mann vor, mit dem man hier so gar nichts anfangen kann. Junge testosteronstrotzende Kanuathleten eilen mit ihren geschulterten Booten den Steg hoch und runter und an mir vorbei.

Ich schaue mir die Lage noch einmal an. Schliesslich vereinbaren wir, dass ich mein Kajak außerhalb des Vereinsgeländes direkt am Zaun anschließen kann. Immerhin eine Lösung. Ich mache mich auf den Weg zum Bahnhof, laufe bei Nieselregen durch die etwas triste Innenstadt von Magdeburg, die immer noch einen DDR-Charme versprüht.

Ich gelange mit dem Regionalzug mit Umstieg in Roßlau nach Wittenberg und schließlich mit dem Taxi zum Parkplatz an den Elbauen, um den Wagen zu holen. Wieder zurück in Magdeburg gibt es noch eine schöne Überraschung: Die Vater/Sohn Faltbootpaddler, die ich in Coswig kennengelernt hatte und die nach mir in Barby gestartet waren, sind in der Zwischenzeit ebenfalls hier angelandet und packen grade ein. Wir verabschieden uns herzlich.
Die Elbe scheint auch ein sozialer Strom zu sein.