Haveltour – Henningsdorf bis Stößensee

09.10.2022 - Kajak-Tagestour auf der Berliner Havel vom Henningsdorfer Stadthafen bis zum Stößensee

Länge: 17 km



Meine Haveltour wird in diesem Jahr leider ein Fragment bleiben. In 2 Etappen bin ich bereits vom Käbelicksee über Wesenburg am Woblitzsee bis nach Fürstenberg am Röblinsee gepaddelt.

Doch die geplante Folgeetappe, die mich in 2 Tagen von Fürstenberg bis nach Zehdenick führen soll, ist von der Logistik her problematisch. Der Herbst zeigt sich immer deutlicher, mit Regen, Wind und empfindlicher Kälte in der Nacht. Einen warmen Schlafsack und ein etwas winddichteres Zelt bekäme ich nur mit Mühe in mein Nortik-Fold. Und die Havel wird im späteren Verlauf dieser Strecke keine Seen mehr berühren und damit sieht es auch mit den dort allerorten aufzufindenden Campingplätzen schlecht aus. Wildzelten wäre angesagt oder ein spartanischer Biwakplatz. Kurzum: auch wenn ich seit Jahrzehnten morgens kalt dusche, bin ich innerlich wohl ein Warmduscher geblieben und werde die Tour auf die nächste Saison verschieben müssen.

Aber etwas Havel soll es dieses Jahr doch noch sein. Interessant scheint mir auf jeden Fall, zu erleben, wie sich der Fluß im Hauptstadtgewande verhält. Wenn er eintritt in die Berliner Vorstädte, durch industrielle Kernzonen Berlins fließt und sich dann wieder öffnet in die weitläufigen Havelgebiete am Wannsee. Nicht mehr von durchmotorenden Freizeitkapitänen auf großer Charter-Urlaubsfahrt bevölkert, sondern von Wochenend-Skippern, die ihre Liegeplätze an den Seen haben sowie Seglern und Ruderern aus den umliegenden Vereinen.

Eine Googlemap-Recherche mit Satellitensicht ergibt, dass der Stadthafen Henningsdorf, unweit der S-Bahn Endhaltestelle, eine gute Startmöglichkeit bietet. Etwas nach links gelegen finde ich dort eine flache Sliprampe an einer kleinen Wiese, zu der der Spazierweg entlang des Hafenkais führt.

Sliprampe Stadthafen Henningsdorf
Sliprampe am Stadthafen Henningsdorf

Beim Aufbau komme ich ins Gespräch mit einem Radfahrer. Er erzählt mir, dass er in seinem alten Faltboot bereits die ganze Havel befahren hat – vom Käbelicksee bis zur Mündung in die Elbe. Ich bin neidisch. Wir fachsimpeln noch etwas, da er mich nach den Erfahrungen mit dem Nortik-Fold fragt. Ich bin etwas zwiegespalten, vielleicht auch, weil ich das Boot momentan zu stark in den Tourenkontext zwinge, der nicht wirklich passt. Außerdem komme ich beim Aufbau immer noch ins Schwitzen beim Zusammenfügen der Kederleisten und beim Einhängen der Spanten vor und hinter der Luke. Bei letzteren greifen die Einhängepunkte am Rumpf nur unzureichend und wenn man die notwendige Spannung aufbringen möchte, rutscht es meist an der anderen Seite wieder raus. Ein asymmetrisches Design, mit dem der Spant an einer Seite guten Halt finden würde, oder ein Verriegelungsmechanismus könnten das Problem lösen. Auch die Nieten fangen schon an, Rost anzusetzen, obwohl ich nur Süßwasser gefahren bin. Eine Kunststoff-Lasche ist durch den Druck der Vernietung gespalten, hält aber noch. Die Haltespangen der Gummikappen an Bug und Heck springen bei der Montage unten oft raus. Eine etwas fragile Konstruktion also und ich bin gespannt, ob das nur erste Blessuren sind oder pünktlich nach Ablauf der Gewährleistung größere Probleme auftauchen werden. Aber was solls, die Havel ruft und ich will kleinliche Ärgernisse, hinter denen zum Teil auch meine Ungeschicklichkeit steht, hinter mir lassen.

Havel bei Henningsdorf
Havel bei Henningsdorf

Auf der Havel dampft gleich eine große Schute an mir vorbei. Diese Schuten machen nur wenig Welle – manchmal gibt es etwas Verwirbelungen im Wasser. Und ja – leider öfter mal etwas Dieselgestank, was die Großstadtnähe durch das passende olfaktorische Flair ergänzt. Aber die Uferbewaldung lässt noch nicht ahnen, dass die hier etwa 60 Meter breite Havel nun gleich durch eine Millionenstadt fließen wird. Nach etwa einem Kilometer erstreckt sich links der Nieder Neuendorfer See nach Norden, abgetrennt durch einen Saum von Mini-Inseln.

Ruderer auf der Havel am Nieder Neuendorfer See
Ruderer auf der Havel am Nieder Neuendorfer See

Rechts zweigt hier der Havelkanal ab, der am ganzen Stadtgeschehen vorbeiführt, bis er nach 34 Kilometern erst hinter Potsdam beim Göttinsee wieder in die Havel mündet.

Vom links hinter dem Nieder Neuendorfer See gelegenen kleinen Heiligensee bekommt man auf der Havel nichts mit, da er nur durch eine Durchfahrt erreichbar ist. Noch vorm Tegeler See, der knapp 5 km voraus liegt, imponiert am rechten Ufer ein Anleger mit einem Stichkanal (Teufelsseekanal) und einer darüber hinführenden Fußgängerbrücke, dem Oberhavelstieg. Dahinter befand sich einmal das Kohlekraftwerk Oberhavel, das bis 2009 abgerissen wurde und an das nur noch eine rostig-rußige Namenstafel erinnert.

Havel beim ehemaligen Kraftwerk Oberhavel
Havel beim ehemaligen Kraftwerk Oberhavel – Oberhavel-Steg

Vor dem Tegeler See, der über etwa 3,5 Kilometer nach Nordosten führt und durch die vorgelagerten Inseln ebenfalls nicht gut einsehbar ist, kreuzt die Stadtfähre Tegel das Fahrwasser.

Stadtfähre Tegel
Stadtfähre Tegel

 

Ich lasse den Tegeler See links liegen, er ist bestimmt noch mal für eine Erkundung gut. Spandau kommt bereits mit Hochhauskulisse und Industriekomplexen in Sicht. Hinter der Insel Eiswerder öffnet sich ein weiter Blick auf das vorab liegende Gelände der Zitadelle Spandau und das südöstlich gelegene Heizkraftwerk Reuter-West, eine der vielen „Wolkenfabriken“ Berlins.

Havel vor Zitatelle Spandau
Havel vor der Zitatelle Spandau

Auf Höhe der Zitadelle verengt sich die Havel wieder und die Stadtschleuse Spandau muss überwunden werden, was aufgrund eines komfortablen Anlegestegs und einer Transportlore auch ohne Wartezeiten bequem möglich ist.

Kajakanleger Schleuse Spandau
Kajakanleger Schleuse Spandau

Die Obere Havel-Wasserstraße liegt jetzt hinter mir und die Untere Havel-Wasserstraße beginnt. Am rechten Ufer hinter der Schleuse und hinter der Juliusturm-Brücke befindet sich ein kleiner Park. Erstaunlich viele Angler versuchen ihr Glück an den Kais im etwas ölig riechenden Havelwasser. Links zweigt unscheinbar eine Art Industriekanal ab, beflankt von den Industrieruinen der Alten Geschützgiesserei Spandau. Mir ist gar nicht klar, dass hier ganz klammheimlich die gute alte Spree nach 400 Kilometern in die Havel mündet, so prosaisch ist das Bild.

Spreeeinmündung
Heimlich, still und schnöde: Spreeeinmündung bei Spandau

Die Uferkulisse wird noch einmal industrieller, als ich die Spandauer Hafenanlagen passiere. An den Kaimauern reflektieren sich Kabbelwellen – der Schiffsverkehr ist aufgrund des Wochenendes und des fortgeschrittenen Nachmittages allerdings fast zum Erliegen gekommen. Einer manövrierenden Schute, die am linken Ufer anlegen möchte, muss ich noch ausweichen, dann wird es ganz ruhig.

Havel beim Südhafen Spandau
Industriekulisse – Havel beim Südhafen Spandau

1,5 Kilometer später ändert sich das Bild wieder: die interessante aber etwas trostlose Industrielandschaft weicht langsam zurück. Links liegen versteckt hinter Bäumen die Tiefwerder Wiesen, eine ehemalige Auenlandschaft und das letzte Berliner Hechtlaichgebiet, das mit weiteren hier heimischen Tier- und Pflanzenarten durch den absinkenden Wasserstand der Havel bedroht ist.

Havel bei den Tiefwerder Wiesen
Havel bei den Tiefwerder Wiesen – Freybrücke in Sicht

Hinter der Freybrücke, über die die Heerstraße und ihr Gefolge einmal quer durch Berlin führt, sind es nun nur noch etwa 1 Kilometer bis zum Stößensee, meinem Tagesziel.

Stössensee - Restaurantschiff Alte Liebe voraus
Angekommen am Stössensee – Restaurantschiff Alte Liebe voraus

Etwas rechtsab vom Restaurantschiff „Alte Liebe“ findet sich hier eine kleine Bucht zum Anlegen.

Anlegebucht am Stössensee
Call it a day – Spätnachmittag am Stößensee

Ich blinzle noch ein paar Minuten in die beginnende Abenddämmerung und reflektiere die Fahrt durch die Stadt mit ihren unterschiedlichen Perspektiven. Dann verpacke ich das zusammengefaltete Boot auf dem Kajakwagen und habe noch einige Mühe, das wuchtige Paket die steilen und steinigen Treppen der Stößenseebrücke hochzuhieven, wo tatsächlich der Bus pünktlich ankommt und mich nach Hause bringt.

Kartenansicht der Tour