Haveltour – von Fürstenberg nach Zehdenick
21.10 - 22.10.2022 - 2-tägige Kajaktour auf der oberen Havel von Fürstenberg bis ZehdenickLänge: 45 km
Das milde Oktoberwetter brachte unverhofft noch einmal die Gelegenheit, der Havel in diesem Jahr doch noch ein paar weitere Kilometer abzuluchsen.
Kurzentschlossen packe ich daher an diesem Freitag mein Seayak, das die letzten 2 Jahre ein trauriges Garagendasein geführt hatte, auf den Dachgepäckträger. Die geplante, etwa 45 Kilometer lange Strecke von Fürstenberg bis zu den Tonstichen bei Zehdenick, aus deren Ziegeln einst große Teile Berlins erbaut wurden, führt durch eine wenig bevölkerte Gegend und nachts war es schon beim letzten Mal empfindlich kalt. In das Seayak passen problemlos für mehrere Tage Proviant, ein winterfester Schlafsack und auch ein größeres Zelt. Für die Übernachtung plane ich, einen kleinen Biwakplatz an der Schleuse Regow auf etwa halber Strecke anzusteuern. Am Zielort Zehdenick hat noch ein Zeltplatz am Hafen geöffnet, auf dem eine zweite Übernachtung möglich wäre und wo ich das Kajak lagern könnte, wenn ich den Wagen aus Fürstenberg holen würde.
In Fürstenberg parke ich direkt vor dem Campingplatz am Röblinsee, dem Ziel meiner letzten Tour. Gleich links daneben liegt eine kleine Festwiese mit Badebucht und Steganlage, wo ich einsetze. Der Röblinsee liegt still und sonnenbeschienen da.
Der Kurs führt ostwärts nach links, vorbei an der malerischen Ruine eines alten Speichers, hinein in die Schleusenhavel, die durch die Stadt führt.
Nach etwa einem Kilometer gelange ich an die Stadtschleuse Fürstenberg, wo leider erst einmal eine ordentliche Entschleunigung stattfindet. Eine Gegenschleusung wird noch vorbereitet und erst nach 45 Minuten kann ich einfahren, zusammen mit 2 Motorbooten.
Diese Schleusen können schon empfindlich an der Zeitplanung knabbern, wenn man Pech hat. Ich denke, 30 Minuten sollte man pro Schleusung mindestens einplanen. Alle Schleusen auf dieser Tour sind übrigens Selbstbedienungsschleusen, zumindest außerhalb der Hauptsaison. Man zieht vor der Schleuse an einem grünen Hebel, folgt den Hinweisen auf einer Displaytafel, fährt ein bei grünem Signal und zieht in der Schleusenkammer wieder am grünen Hebel. Easy as pie. Die Schleusentore schließen sich, das Wasser wird rausgepumpt, und nach etwa 10-15 Minuten und ein paar Höhenmeter tiefer kann die Fahrt weitergehen. Alles sehr praktisch und ziemlich narrensicher, da man auch im Kajak gut an die Hebel gelangt. Ein wenig erinnert die Prozedur an die ersten Tomb-Raider Spiele und wie Lara Croft bin ich beim Betätigen der Hebel meist allein auf dieser Tour und gelange von Schleuse zu Schleuse ins nächste Havel-Level.
Nur wenige Motorboote und fast gar keine Paddler sind unterwegs. Nach der Schleuse Fürstenberg quere ich zunächst den kleinen, badewannenförmigen und noch sehr städtischen Baalensee mit der Fürstenberger Stadtkulisse im Hintergrund.
Unter einer holzüberdachten Brücke hindurch gelangt man in den Schwedtsee, an dessen nordöstlichem Ufer die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück liegt. Die Havel führt hier gleich rechtsab aus dem See heraus.
Über etwas mehr als 2 Kilometer führt nun die sog. Siggelhavel weiter bis zum Stolpsee. Gleich auf den ersten Metern weist noch einmal eine Gedenktafel auf die unselige deutsche Vergangenheit hin.
Der über 1 Kilometer breite und sich etwa 3 Kilometer weit nach Südosten erstreckende Stolpsee liegt zum Glück ruhig da, nur leichter Gegenwind kräuselt das Wasser. Bei stärkerem Wind könnte man sich hier auf einiges gefasst machen und sollte, wenn möglich, nah am Luvufer entlangpaddeln, was aber bei Ostwind nicht möglich ist. Ein kleines Stück vorm Ostufer zweigt die Havel nach Süden ab und ab jetzt wird es erstmal keine Seen mehr geben.
Der Herbst ist fleißig dabei, die Blätter von den Bäumen zu zupfen. Hauptsächlich Buchen-, Ahorn- und Eichenblätter treiben auf dem Wasser und verströmen einen würzigen Geruch.
Über knapp 6 Kilometer schlängelt sich die Havel nun mäandrierend bis zur Schleuse Bredereiche. Diese ist wie eine Guillotine gebaut – das dunkle Schleusentor fährt entlang zweier seitlicher Schienen nach oben und mit etwas Phantasie kann man sich als armer Delinquent fühlen, wenn man in die Schleusenkammer einfährt.
Linkerhand vor der Schleuse gibt es auch einen Biwakplatz. Die Ortschaft hier ist dann auch erstmal der letzte Zivilisationsflecken, bevor es nun über viele Kilometer durch nahezu menschenleeres Gebiet des Naturparks Märkische Seen geht. Auffällig ist hier die oft durchgehende Verschalung des Havelufers, die einem naturnahen Eindruck etwas entgegensteht und einen deutlich künstlichen Eindruck hinterlässt. Zwischen die Holzpfosten werden dünne Äste dicht geflochten und an einigen Stellen kann man laufende Reparaturarbeiten mit Nachschubmaterial sehen.
Nach weiteren 6 Kilometern gelange ich schließlich an die Schleuse Regow und habe mein Tagesziel fast erreicht. Es ist kurz vor Eintritt der Dämmerung, die roten Schleusenlichter treten schon grell hervor. Rechts an der Schleuse vorbei stürzt das Havelwasser über ein Wehr herab und ein nebliger Dunst liegt dahinter auf dem Wasser, der sich bis zum links etwa 150 Meter hinter der Schleuse gelegenen kleinen Biwakplatz erstreckt.
An einer kleinen flachen Bucht am linken Ufer steige ich aus, baue mein kleines Zelt auf und bereite mir im Restlicht das Abendessen zu. Ich bin ganz allein hier, die Ziegenkäserei Capriolenhof, die gleich hinter der Schleuse gelegen ist, hat außerhalb der Saison nur noch am Wochenende geöffnet.
Die schnell einbrechende herbstliche Dämmerung und der Nebel über dem Wasser, der langsam auch ans Ufer kriecht, erzeugen eine Edgar-Wallace-artige Stimmung. In der Ferne bellt tatsächlich der Hund von Baskerville. Die roten Schleusenlichter und ihre Reflexe auf dem Wasser geben ihr übriges zu dieser etwas unheimlichen Kulisse. Wenn man genau hinhört, vernimmt man ein unentwegtes leises Rascheln und Rieseln, das von den fallenden Blättern herrührt und in das entfernte Rauschen des Schleusenwehrs einstimmt.
Während ich mich schon auf eine lange ängstliche Nacht als einsamer Solipsist vorbereite, tauchen plötzlich die wirren Lichter von Stirnlampen und Gesprächsfetzen auf. Drei Radfahrer, zwei Männer und eine Frau finden sich ein. Es sind junge Amerikaner, die zu dieser epidemischen „Like“-Generation gehören. Unentwegt plaudern sie wichtig vor sich hin: „You know, like .. I mean, like … like ..like“. Ich weiss nicht ob ich lachen oder weinen soll. Insgeheim bin ich vielleicht auch froh, dass der Hund von Baskerville erstmal abrupt in die Ferne gerückt ist und ich nach den Oropax suchen muss. Tatsächlich kommen im Stockdunklen auch noch 2 Paddler in ihren Seekajaks an. Der kleine Biwakplatz, eben noch ein mystisch verlorener Ort, ist auf einmal gut gefüllt und unterscheidet sich akustisch und soziologisch kaum noch vom Prenzlauer Berg, dem ich entflohen bin.
Am nächsten Morgen packe ich schnell zusammen. Die Likelike-Amerikaner kommen erst langsam in Schwung. Die Seekajaker waren ebenfalls in Fürstenberg gestartet und wollen eine 3-Tages-Rundtour machen. Ich frage mich, wie man hier wieder zurückkommt, ohne die gleiche Strecke zu nehmen. Es bleibt ein Rätsel, denn die beiden gesellen sich erstmal zu den Amerikanern an den überdachten Tisch am Rande des Platzes. Mir ist hier wohl die Rolle des Außenseiter zugeschrieben. Ich nehme es mit Fassung und breche auf zur zweiten Etappe.
Der erste Abschnitt dieses Tages führt über etwa 5,5 km zur Schleuse Zaaren. Die Havel liegt windstill und in mildes Herbstlicht getaucht vor mir.
Die Schleuse Zaaren ist unspektakulär, langsam geht die Prozedur mit der Selbstbedienungsautomatik in ein gleichförmiges und gewohntes Ritual über: Anlegen, Hebel ziehen, Lichter und Digitalschrift auf der Tafel beachten, einfahren, Hebel ziehen, warten und weiter geht’s.
Auf dem folgenden Abschnitt verläuft die Havel etwas offener – Wald und Wiesen wechseln sich am Ufersaum ab.
Und etwa 3 Kilometer weiter kommt auch schon die nächste Schleuse – Schorfheide/Havel in Sicht.
Nach dieser Schleuse sind es nur ein paar hundert Meter bis zu einem Abzweig, der links in die Templiner Gewässer führt.
Wer mag, kann hier über eine kleine Seenkette (Großer Kuhwallsee, Großer Lankensee, Röddelinsee) über eine Strecke von ca. 14 km bis nach Templin weiterpaddeln. Ich wende mich aber rechterhand in Richtung Mildenberg/Zehdenick. Tatsächlich gibt es hier nach langer Zeit zum ersten Mal Gegenverkehr. Eine kleine Motorjacht nutzt offenbar auch den verlängerten Herbst für eine Tour.
Nach etwa 5,5 km zweigt rechts das Tornower Fließ ab, das über knapp 2 km bis zum Großen Wentowsee führt. Von hier könnte man vielleicht tatsächlich über den kleinen Wentowsee und den anschließenden Polzowkanal bis zum Stechlinsee gelangen und damit wären es dann nur noch wenige Kilometer bis nach Fürstenberg – vielleicht ist das die Rundtour, die die beiden Paddler am Biwakplatz geplant hatten. Das Befahren des Stechlinsees ist aber stark eingeschränkt und ob der Polzowkanal, der ehemals der Holzverschiffung diente, noch oder wieder paddelbar ist, darüber weiß ich nichts. Ein Hinweis weist leider darauf hin, dass das Umtragen vom Tornower Fließ in den Großen Wentowsee nicht erlaubt sei – offenbar stören sich hier begüterte Herrschaften oder ihre exklusive Gästeklientel des Schlosses Tornow am Treiben der Kanuten, traurig.
Ich spicke nur ein wenig hinein in das idyllische Fließ und folge dann wieder dem geplanten Havellauf. Nach knapp 1,4 km gibt es hier bei der Schleuse Marienthal, die allerdings um diese Jahreszeit schon außer Betrieb ist, eine weitere Möglichkeit, über den anschließenden Wentowkanal zum Großen Wentowsee zu gelangen.
Hier beginnt eine spannende und geschichtsträchtige Landschaft, denn die Havel ist fortan über Kilometer gesäumt von dutzenden Tonstichen, in denen die Ziegel, aus denen Berlin erbaut wurde, gestochen wurden. Allerdings bekommt man aus der Wasserperspektive wenig davon mit, man muss schon GoogleMaps oder eine Landkarte bemühen. Einmal fahre ich in einen kleinen, verschilften Stichkanal hinein, werde aber sogleich von einem Verbotsschild zurückgehalten. Auch hier hat die Privatisiererei leidigen Einstand gehalten.
Noch halbwegs fit, verwerfe ich meinen Plan, noch eine zweite Nacht auf dem Zeltplatz zu verbringen und paddle die letzten Kilometer durch bis in die Nähe der Schleuse Zehdenick.
Ein kurzer verwilderter Stichkanal führt nahe heran zu einem Spielplatz und zur dahinter gelegenen Festwiese Zehdenick. Vor dem Parkplatz der Festwiese ist eine Bushaltestelle eingezeichnet. Mein Plan: Das Kajak am Spielplatz zu parken, wo es hoffentlich unbehelligt bleibt und mit dem Bus nach Fürstenberg fahren, um den Wagen zu holen.
Das idyllische Bild des Stichkanals trügt leider – das Wasser ist voller Algen und es riecht faulig aus dem schlammigen Grund. Erschöpft steige ich aus.
Nun beginnt noch der übliche logistische Alptraum, den ich gern als Abspann meiner Touren präsentiere. Mit etwas bangem Gefühl schließe ich das Seayak per Drahtseil an einen Baum am Spielplatz und werde es mit Gepäck für einige Stunden zurücklassen, um das Auto aus Fürstenberg zu holen. Die friedlich mit ihren Kindern spielenden Eltern vermitteln zumindest den Eindruck, dass hier so viel nicht passieren kann. Der Bus wird in 40 Minuten kommen – denke ich. Falsch gedacht, denn ich sitze und sitze an der verwaisten Bushaltestelle an einer viel befahrenen Durchgangsstraße und nichts passiert. Als 15 Minuten nach dem angeschlagenen Termin immer noch kein Bus in Sicht ist, überprüfe ich noch einmal den Fahrplan und entdecke ein kleines Symbol, nicht größer als ein Fliegendreck. Das Symbol bedeutet: Der Bus ist ein Rufbus, er muß telefonisch bestellt werden. Arghh – so etwas erwarte ich als unbedarfter Städter natürlich nicht, zumal Zehdenick nun auch kein totales Kaff ist. Der nächste Bus käme zwar in 60 Minuten, aber einen Rufbus muss man 90 Minuten im Voraus bestellen. Ich rufe bei der Zentrale an und mir wird gesagt, der Bus würde erst um 19 Uhr kommen, wenn alles stockfinster ist. Tatsächlich erreiche ich noch einen Taxifahrer, der nach einigem Überlegen zusagt, mich nach Fürstenberg zu fahren. Er muss aber noch eine Fuhre fahren und als er kommt, wird es schon dunkel. Der Taxifahrer sagt, dass die Rufbusse auch nur dann kämen, wenn es sich lohnt. Ein weiteres Warten wäre dann vielleicht auch komplett in die Hose gegangen. Er erzählt einige harte Stories vom Taxifahren auf dem Lande – z.B. wie er einmal nachts eine von ihrem Mann zusammengeschlagene Frau in ein Frauenhaus von Zehdenick nach Berlin fuhr.
Um 60 Euro ärmer, dafür um einige Stories vom toughen Countrylife reicher und froh, daß es überhaupt noch geklappt hat, gelange ich in Fürstenberg an und steige in meinen eigenen Wagen um. Zurück in Zehdenick haben Jugendliche mit ihren Bluetooth-Boxen inzwischen das nächtliche Terrain an einer Lagerhalle des Parkplatzes an der Festwiese erobert, chillen und machen Party. Aber mein Kajak ist ganz unversehrt – was bin ich nur für ein ängstlicher Kleinbürger.