Auf Spree und Zerniasfließ von Lübben bis zum Neuendorfer See
27.10.2024 - Spätherbstliche Kajak-Tagestour auf der (Unter-)SpreeLänge: 22 km
Ich hatte mich von diesem leider spärlichen Paddeljahr schon fast verabschiedet, als sich doch noch einmal ein mildes Spätherbstwochenende ankündigte. Ich bin zwar bekennender Kaltduscher, aber leider doch eher ein Warmwasserpaddler, wie ich zugeben muss.
Die Spree, die ich, bis auf einen Abstecher an die schöne Müggelspree, nur als Großstadtgewässer kenne, war bisher nicht wirklich auf meinem Radar. Warum eigentlich? Mit 400 km Länge ist sie doch nicht zu verachten in der deutschen Flußlandschaft und übertrifft sogar die Havel.
Bei einem Besuch in der Lausitzstadt Lübben vor vielen Jahren habe ich die Gegend tatsächlich einmal als hypertouristisches Spreewälder Gurkenparadies kennengelernt, mit einem Riesen-Remmidemmi für mit Bussen herangekarrte ältere Herrschaften und einer von Ausflugskähnen verstopften Spree. Auch das unabsehbare Labyrinth der Spreewaldkanäle, als Paddlerparadies gehyped, schreckte mich eher ab. Ich brauche doch den „einen“ Fluß, auf dem man vorankommen kann, ohne sich zu verirren.
Doch wie kann man sich täuschen. Als ich an der Lübbener Schleuse ankomme, ist alles friedlich und leer. Denn die Gurken-Saison ist längst vorbei. An einer der vielen Treppen, an denen vielleicht sonst die Kähne anlegen, kann ich ganz bequem das Nortik Fold aufbauen, von ein paar neugierigen Sonntagsspaziergängern beäugt und befragt. Der Origami-Aufbau gestaltet sich mal wieder mühsam und treibt mir den Schweiss ins Angesicht. Eine verkehrte Faltung im Bug, die eine leichte Beulung nach innen verursacht, habe ich übersehen und muss alles nochmal auseinanderbauen.
Umso schöner, dann endlich auf dem Wasser zu sein. Das Flirren des Herbstlichtes unter der ersten Brücke stimmt mich gleich ein auf diese Tour.
Die leeren Treppen, die herbstlichen Farben und auf dem stillen Wasser treibenden Blätter rufen ein etwas melancholisches Sonntagsgefühl auf, ein wenig wie in den Park-Fotografien von Eugène Atget am Ende des 19. Jhdts., nur in Technicolor.
Doch schon bald liegt Lübben hinter mir. Die ersten größeren Abzweigungen tauchen auf, wie hier die Einmündung der Berste, eines Nebenflusses der Spree und weitere kleine Kanäle, die tatsächlich Lust machen, sie zu erkunden.
Wie gut, dass es eine straßenartige Ausschilderung gibt, um sich in diesem Labyrinth zurechtzufinden.
Der Charakter der Spree ist hier immer wieder unterschiedlich. Mal ist sie schmal mit kaum wahrnehmbarer Strömung, mal seenartig verbreitert und dann wieder kanalartig grade verlaufend.
Nach ein paar Kilometern gelange ich an das erste Hindernis, das Hartmannsdorfer Wehr. Vier Schleusen sollen es insgesamt werden. Unvertraut mit dem Schleusenmechanismus, der zumindest nicht so schön funktioniert wie bei den automatisierten Havelschleusen, entscheide ich mich, umzutragen. Da ich außer dem Kajakwagen mit Sackkarre für das zusammengefaltete Kajak nur Notgepäck und Proviant dabei habe, ist das zum Glück unproblematisch und nicht allzu anstrengend und zeitraubend. An den Steganlagen gibt es jedenfalls nichts zu meckern.
Hinter dem Wehr rauscht das Spreewasser hinab, so dass deutlich wird, dass hier doch einiges an Wassermassen Richtung Havel fließt. Ob das so bleiben wird, ist aufgrund des wegfallenden Braunkohletagebaus fraglich. Dessen Sümpfungswässer speisten bisher die Spree zu erheblichen Anteilen und die Flutung der stillgelegten Gruben, für die nun Wasser aus dem Flusssystem und den Vorflutern entnommen wird, führt bisweilen schon mal zu einem Rückwärtsfliessen der Spree in heißen Sommern. Wirklich sauber ist das Spreewasser auch nicht, sondern durch den Kohleabbau erheblich mit Eisen und Sulfat und auch anderen Chemikalien, z.B. Pestiziden belastet. Im Spreewald hat es die Güteklasse II (mäßig belastet).
Es beginnt wieder ein ruhiger und naturnaher Abschnitt mit spätherbstlicher Stimmung. Überall herrscht dieser strengwürzige Geruch der abgefallenen und vermodernden Blätter, der etwas an Wildschwein erinnert.
Die Spree wird ursprünglicher und nur am Gasthaus Petmannsdorf ist etwas Betrieb. Ein Pärchen ist grade am Einsteigen und mit 2 Prijon-Kajaks unterwegs. Wir kommen ins Gespräch. Auch hier zunächst die Frage, wie das denn so funktioniert mit dem Nortik-Fold-Kajak. Nun ja, Vorteile, Nachteile. Die beiden kommen aus Senftenberg und haben hier ihr abwechslungsreiches Paddelrevier. Sie fahren dann gradeaus in den Puhlstrom, während ich der „echten“ Spree nach rechts folgen will. Im Nachhinein erfahre ich, dass der Puhlstrom wohl das interessantere Gewässer ist. Schon bald übersehe ich selbst einen Abzweig. Dort, wo sich die Herbstblätter auf der rechtsabbiegenden Spree verdichten, vermute ich eine Nebenstrecke – in diesem Fall aber falsch gedacht. Gradeaus fahrend komme ich an eine weitere Schleuse mit einer schmalen Kanudurchfahrt, die man abwärts rauschend durchfahren kann. Eine schöne Lösung, auch für die Fische, die nicht den Schleusenfahrstuhl nehmen müssen, um spreeaufwärts zu gelangen.
Hinter dieser Schleuse führt aber nicht die Spree weiter, sondern das Zerniasfließ, eine künstliche, um 1910 angelegte Nebenstrecke, die etwas schmaler ist und durch eine baum- und strauchbesäumte Wiesenlandschaft führt.
Das Zerniasfließ vereint sich nach 2,5 km wieder mit der Hauptspree und schon bald bin ich als einsamer Gast an der nächsten Schleuse bei Neu-Lübbenau. Ich steige am Steg aus, um mir den Schleusenmechanismus doch einmal genauer anzusehen. Man kann die beiden Schleusentore mechanisch mit Hebelstangen bedienen und auf- und zusperren – ein wenig wie bei Lara Croft, wenn sie ins nächste Level möchte.
Ich parke das Kajak an der Steganlage und öffne das erste Tor. Dann fädele ich das Boot an der Festmacherleine um die Ecke in die Schleuse.
Ich schließe das obere Tor wieder, öffne das untere Tor ein wenig, so dass das Wasser abfliesst und fädele das Kajak wieder aus der Schleuse. Eine etwas umständliche, aber lehrreiche Prozedur für angehende Schleusenmeister – aufgrund der fortschreitenden Automatisierung wohl leider ein aussterbender Beruf.
Nach 4,5 Kilometern ist noch ein letztess Spreewehr bei Leibsch zu nehmen. Diesmal trage ich wieder um.
Es beginnt der abschliessende, ca. 3km lange Abschnitt der Tour. Vor Neuendorf kommen erste krabat-artige Behausungen in Sicht.
Der WWR Neuendorf am linken Ufer kurz vor dem Neuendorfer See macht einen soliden Eindruck und wird im Sommer gut bevölkert sein. Zu dieser Jahreszeit liegt allerdings alles einsam da.
Die Spree fließt nun in den Neuendorfer See, dem größten Gewässer (3,33 Quadratkilometer) im Biosphärenreservat Spreewald.
Am rechten Ufer findet sich mein Tagesziel, der Campingplatz „Waldcamp Spreeblick“. Auch dieser liegt zu dieser Jahreszeit nahezu verlassen da, obwohl wenn die Saison offiziell bis zum 31.Oktober läuft.
Im letzten Licht der nun schnell eintretenden Dämmerung, mit der die schönen Herbstfarben schwinden, verpacke ich das Kajak in der großen Packtasche, sattele diese auf den Kajakwagen und laufe etwa 1,5 Kilometer bis zur Bushaltestelle Hohenbrück, wo der letzte Bus für diesen Tag fahren soll. Nach meiner Erfahrung mit Rufbussen, die wirklich nur kommen, wenn man sie ruft, funke ich sicherheitshalber die Zentrale an. Ja, das sei ein ganz normaler Bus, der gleich käme. Und so ist es auch. In einer langen Fahrt über die Dörfer lausche ich den Gesprächen einiger Einheimischer, die sich über Arbeitslosigkeit, Umschulungen und andere Probleme auf dem Lande unterhalten und gelange zurück nach Lübben an die Schleuse zum Wagen.