Auf dem Teltowkanal durch den Berliner Süden
12.07.2023 - Kajak-Tagestour auf dem Teltowkanal vom Griebnitzsee bis zur SpreeLänge: 30,5 km
Vor meinem inneren Kajaker-Auge imaginierte ich den Teltowkanal bislang als trübe, schadstoffbelastete Durststrecke, die, durch hässliche Industriegebiete führend, Spree und Havel allenfalls pragmatisch verbindet und mit einer Gesamtlänge von über 37 Kilometer auch keine ganz einfache Tour darstellt.
Andererseits: Der Teltowkanal führt einmal von West nach Ost durch den ganzen Süden Berlins durch Stadtviertel wie Klein-Machnow, Zehlendorf, Lichterfelde, Steglitz, Tempelhof, Neukölln, usw., die ich auch nach fast 40 Jahren Berlin kaum kenne. Er war Grenzlinie zwischen DDR und der BRD. Und Industriebauten können schliesslich auch Ihren Reiz haben.
Da grade auch noch ein kräftiger Westwind bläst, das Wetter aber sonnig und warm ist, fiel die Entscheidung, meine Vorurteile über Bord zu werfen und es zu wagen, den Teltowkanal von West nach Ost, vom Griebnitzsee bis zur Spree bei Treptow zu durchfahren. Und ich muss im Nachhinein sagen, dass es eine gute Entscheidung war. Der Teltowkanal lohnt sich. Er bietet Natur, Industriekultur, Dutzende von Brücken, wenig Schiffsverkehr und eine überschaubare Menge erholungssuchender Menschen ohne den üblichen Spree- und Haveltrubel im Wasser und an den Ufern. Der Naturcharakter ist vielleicht auch nicht weiter verwunderlich, da der Kanal weitgehend im Fliessbett der Bäke verläuft, eines einst wasserreichen, den Berliner Süden entwässernden Baches, der auch Telte genannt wurde und damit namensgebend für den Bezirk Teltow war. Die Bäke gibt es heute nur noch in kleinen Abschnitten; zum Teil verläuft sie sogar unterirdisch kanalisiert.
Mit dem Nortik-Fold im Gepäck fahre ich also mit der S-Bahn zum Griebnitzsee, wo sich eine gute Einstiegsstelle findet, die auch vom dortigen Kajakverleih genutzt wird. Das Origami-Kajak hat sich durch lange Lagerung irgendwie verzogen und will sich erstmal nicht so richtig zusammenfügen lassen, das ist eine mühsame Millimeterarbeit.
Umso mehr freue ich mich, endlich auf dem Griebnitzsee, dass der Westwind hält, was er verspricht. Sanft und bestimmt hilft er mir, voranzukommen. Statt grau und triste präsentiert sich der nach 1 km rechts abzweigende Teltowkanal von Anfang an umgeben von sattem Grün.
Zwar sind die Ufer von Steinpackungen und Stahlverschalung geschützt, aber der Uferbewuchs versteckt dies an vielen Stellen dezent. Vor meinem ersten Etappenziel (6 km), der Schleuse Kleinmachnow, gibt es sogar ein paar Campingplätze.
Angekommen an der imposanten Schleuse und nervös, hier ohne längere Wartezeiten durchfahren zu können (muskelbetriebene Boote werden nur zusammen mit Motorbooten geschleust), sehe ich vor der linken Schleusenkammer grünes Licht und fahre ein – wobei ich mich etwas wundere, dass die Motorjacht vor mir wieder kehrt macht und erst einmal beim Sportbootanleger rechts hält.
Nach ein paar Minuten rufe ich lieber erstmal beim Schleusenwart an – und tatsächlich: er schickt mich flugs und etwas geschockt wieder raus. Ein großer Schubverband sei unterwegs und darf zuerst einfahren. Ich paddle eiligst aus der Schleuse und da kommt der Schubverband auch schon angedampft. Jetzt sehe ich erst, dass es am Sportbootsanleger ebenfalls ein Signal gibt, das noch auf rot steht. Erst als der Schubverband eingefahren ist, können zwei wartende Motorjachten und ich einfahren und die Schleusung beginnt.
Die noch von Kaiser Wilhelm II. Anfang des 20. Jhdts. eröffnete Schleuse – er tuckerte zur Premiere mit seiner Jacht „Alexandria“ hindurch – macht wirklich etwas her. Vor allem die monumentale Konstruktion der beiden Hubtore mit dem breiten Ziegeldach zeigt, dass man damals nicht nur funktional, sondern auch sehr ästhetisch gedacht hat.
Momentan funktioniert allerdings nur die linke Nordschleuse mit normalen Klapptoren, die mittlere Schleusenkammer wird saniert. Mehr zur Geschichte der Schleuse Kleinmachnow bei Wikipedia.
Gleich hinter der Schleuse durchfliesst der Teltowkanal den Machnower See mit etwa 600 m Länge.
Der Kanal zeigt ansonsten über die gesamte Strecke ein eher gleichförmiges, aber niemals langweiliges Bild. Dichte Fauna rechts und links, viele Brücken (es müssten ungefähr 37 sein – Peter Maffay könnte einen langen Song draus machen), die zu unterqueren sind.
Es hilft, eine Karte dabei zu haben, um zu wissen, was sich rechts und links hinter der Vegetation verbirgt. Die leichten Windungen, die der Teltowkanal auf dem Weg nach Osten nimmt, öffnen immer wieder leicht veränderte Perspektiven. Nur mögliche Rastplätze an der Strecke sind eher rar. Zur Not kann man aber alle 100 Meter an kleinen Stahltreppen festmachen, die in die Spundwandung eingelassen sind.
Der Teltower Hafen (9,9 km) lädt zur Rast ein. Gäste sonnen sich auf Liegestühlen. Trüber Industriekanal? Falsch gedacht.
Nach 11 Kilometern fällt links eine grosse Fussgängerholzbrücke auf. Der darunter abzweigende Zehlendorfer Stichkanal ist leider nur für Befugte befahrbar.
Architektonisch interessant und ein ikonisches Highlight ist das große Heizkraftwerk Lichterfelde (Kilometer 14 meiner Tour), dessen 3 schornsteinbewehrte Türme schon von weitem sichtbar sind. Diese Türme und weitere Teile der Anlage sind allerdings nur noch Kulisse und sollen bis 2025 abgerissen werden, da das ursprüngliche Kraftwerk aus den 70er Jahren durch ein effizienteres Erdgaskraftwerk ersetzt wurde. Function beats Form.
Auch mehrere Öl- und Gasspeichertanks fallen entlang der Strecke auf.
Eine ganz andere Wirkung wiederum entfaltet das Ulsteinhaus in Tempelhof (Kilometer 21) mit seiner expressionistisch-neugotischen Backsteinfassade aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts am rechten Ufer.
Literatur wird hier allerdings leider schon lange nicht mehr produziert. Die mit Klingeltönen reichgewordenen Samwer Brüder (Zalando, Rocket Internet) scheinen das Gebäude vor einigen Jahren gekauft zu haben, um noch mehr Millionen zu scheffeln – diverse Gewerbe sind hier angesiedelt.
Ich plane, einen Cappuccino am gegenüberliegenden Tempelhofer Hafen zu nehmen. Auf den Holzterassen links chillen Jugendliche, eine Marina bietet Liegeplätze für Boote.
Nur an Kanuten hat man mal wieder nicht gedacht. Kein Schwimmsteg weit und breit, schade. Ich dope mich für die letzten 10 Kilometer mit einem Energydrink und paddle weiter.
Nach etwa 5 weiteren Kilometern erreicht man ein großes Kanalverbindungskreuz. Der Teltowkanal führt hier weiter südostwärts, d.h. rechts, weiter nach Köpenick. Links geht es nach Kreuzberg bis zum Landwehrkanal und gradeaus verläuft der Britzer Verbindungskanal über 3 km auf direktem Weg zur Spree, der meine Abkürzung ist.
Einige Ruderer sind hier unterwegs. Ich entdecke zum ersten Mal, dass es kleine Rückspiegel gibt, die man ans Basecap clippen kann – praktisch. Mir war es immer etwas unheimlich, wie die Ruderer mit der doch recht hohen Geschwindigkeit der Regattaboote frohen Mutes rückwärts ins Nirwana gleiten und manche Ruderer schauen sich ja auch regelmäßig ängstlich um und verrenken sich den Nacken.
Über den Verbindungskanal erreiche ich finalmente nach knapp 30 km die Spree und man könnte hier gleich links an der Einmündung auf einer Wiese aussteigen.
Doch meine inzwischen gut gefüllte Blase will die Tour lieber diskret am waldigen Treptower Spreepark beenden und ich fahre noch ein Stück weiter spreeabwärts. Auch hier sind leider überall Spundwände verbaut. Nach 500 Meter kommt aber eine brauchbare Stelle zum Aussteigen.
Ich merke schnell, dass es mit der beschaulichen Ruhe auf dem Teltowkanal jetzt vorbei ist. Das übliche Berliner Publikum ist am Spreeufer unterwegs und macht sich hier einen schönen Abend: Laute Ummta-Musik aus Boomboxen, ätzende Dopeschwaden, quengelnde Kinder, drängelnde Radfahrer, lungernde Teenagerhorden. Ein Hund will unbedingt an mein Kajak pinkeln und ist von seiner Besitzerin nur mit Mühe davon abzubringen. Berlin as usual.
Der koreanische Philosoph Byung Chul-Han hat in seinem Essay „Die Müdigkeitsgesellschaft“ auf die friedensstiftende Wirkung der totalen Erschöpfung hingewiesen. Die Erschöpfung nach der langen Tour ist definitiv da, aber ich muss ihm leider widersprechen. Wahrscheinlich muss die Erschöpfung gegenseitig sein, damit das funktioniert. Ich werde angesichs des munteren Partyvolks jedenfalls nicht friedlich, sondern nur innerlich aggressiv und beisse die Zähne zusammen, falte das Kajak in die Tasche, packe alles auf den Kajakwagen, laufe zur S-Bahn Baumschulenweg und sogar die Fahrstühle funktionieren. Also letztlich doch alles gut 😉