Kajaktour auf der jungen Havel (Kratzeburg – Wesenberg)
08.07.-09.07.22 - 2-tägige Kajaktour auf der Havel vom Käbelicksee nahe der Havelquelle bis nach WesenbergLänge: 31 km
325 Kilometer ist die Havel lang und entspringt nach einigen menschlichen Manipulationen zum Zwecke des Mühlenbetriebs am Rande des Nationalparks Müritz bei Ankershagen.
Viele schöne gewundene Kilometer zum Paddeln also, denn die Havel funktioniert wie eine Perlenschnur, die dutzende wunderschöner Seen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt nach und nach aneinander auffädelt. Kein rauschender Bach, kein reißender Strom, sondern eine ruhige Angelegenheit mit grade mal 40,6 Meter Gefälle auf der ganzen Länge. Diese kanalartige Trägheit war mir bislang ein wenig suspekt, zumal ich befürchtete, dass weite Teile der Havel von unentwegt dahintuckernden, dieselrauchenden Motorbooten bevölkert werden. Aber ich habe mich geirrt, zumindest auf dem ersten jungfräulichen Abschnitt der Havel, den ich auf dieser Tour befahren habe.
Mein Plan war eigentlich, von Berlin aus mit dem Regionalzug RE5 direkt nach Kratzeburg an den Käbelicksee zu fahren, mit der großen Kajakpacktasche im Schlepptau. Das ist sicher auch eine gute Idee. Nur haben vor diesem Wochenende grade die Sommerferien in Berlin begonnen. Zusammen mit dem 9 EUR Ticket-Ansturm und der bekannten Organisiertheit und Pünktlichkeit der deutschen Bahn vielleicht keine Ideal-Kombination für eine entspannte Fahrt mit Sitzplatzgarantie.
Ich fahre daher mit dem Auto und auch das lohnt sich schon, da die ganze Gegend hier im und um den Müritz-Nationalpark einen in Deutschland kaum vergleichbaren Eindruck von Wildheit und Abgeschiedenheit macht, insbesondere im Sommer, wenn alles von dichtem Grün überwuchert und nach einem Regentag noch dampfend feucht ist.
Über Fürstenberg und Neustrelitz schliesslich im kleinen Dorf Kratzeburg angekommen schaue ich mir zunächst den unbedachten Bahnhof an, über den ich dann am Folgetag zurückfahren will. Von dort bis zum Einstieg am Käbelicksee sind es etwa 2 km Weg. Der Wegweiser zur Einstiegsstelle Campingplatz „Naturfreund“ findet sich schon am Ortsausgang und führt etwa 1,5 km über eine kleine Strasse nach Osten an den See. Einige hundert Meter vor dem Campingplatz befindet sich links ein kostenfreier Wiesen-Parkplatz. An den vielen Kajakdachgepäckträgern der dort parkenden Wagen ist gleich zu erkennen, wen es hierhin bevorzugt verschlägt.
Zum Campingplatz an der Südostseite des Sees sind es noch einmal ein paar hundert Meter, die mit dem zur Sackkarre umfunktionierten Kajakwagen gut zu bewältigen sind. Gleich am Eingang zum Platz finden sich einige Verleihkajaks aufgestapelt und man kann bequem an einer Rampe im Flachwasser oder am Schwimmsteg einsteigen.
Das Wetter ist leider ungemütlich. Es sieht nach Regen aus, ein böiger Wind treibt Wellen an das Ufer der Rampe. Wieder machen die Kederleisten des Nortik-Folds Ärger beim Aufbau. Ich habe den Bogen einfach noch nicht raus und vielleicht wurde hier auch nicht wirklich passgenau gearbeitet – es ist eine arge Friemelei, bis alles passt.
Diese Tour soll zugleich eine Probe darauf sein, ob das Nortik-Fold auch für eine mehrtägige Gepäcktour taugt. Zusätzlich zum in einer Ortliebtasche verstauten 6kg schweren Kajakwagen kommt hinter den Sitz noch die Tasche mit dem Kochgeschirr und Lebensmitteln. Und vorne zwischen die Fussleisten passt die Tasche mit der Miniaturzeltausrüstung: 1-Personenzelt, Sommerschlafsack, Isomatte und Klamotten wasserdicht verpackt. Oben unter den Gepäcknetzen klemmen Tagesproviant, Regenjacke, Schwimmweste und Paddlefloat. Soweit alles gut, aber mächtig schwer ist das Ganze nun schon – an die 30 kg werden es sein. Aufgrund der etwas fragilen Gummi-Abschlusskappen des Kajaks an Bug und Heck empfiehlt es sich auch nicht, das vollgepackte Boot einfach über Wiese und Strand zu ziehen – man sollte es schon tragen.
Ich steige an der Rampe ein, ziehe die Spritzdecke über den Süllrand und paddle etwas ängstlich auf den kabbeligen Käbelicksee hinaus. Aber das Kajak liegt trotz Wellengang stabil im Wasser und ich mache mich mit zunehmender Vorfreude auf, die Einfahrt in die Havel zu finden, die irgendwo am Westrand im unteren Drittel des Sees im Schilf verborgen liegt.
Eine einsame kleine grüne Schwimmtonne zeigt schliesslich das Ziel an. Im späteren Verlauf sind diese Fahrwassertonnen auf den Seen immer gut zu erkennen.
Hinter dem Schilfgürtel tauche ich in Laubdickicht ein und hier ist sie nun: die junge Havel in ihrer Kinderstube – mit etwa 8m schon erstaunlich breit. Neugierig folge ich dem Flusslauf, der nach etwa 1,2 km in den Granziner See führt.
Hier geht es südwärts nach links bis zur nächsten grünbetonnten Schilfeinfahrt. Nach 200 Metern mündet dieser nächste kurze Abschnitt in den kleinen Schulzensee mit westlichen Anschluss.
Und nach insgesamt nicht mal 1 km macht sich die Havel dann auf einmal dünne. Bei der Granzinermühle heisst es: umtragen. Über eine Strecke von etwa 1,5 km, die mit einer Lorenbahn bewältigt werden kann, erreicht man den Pagelsee. Die Lorenbahn ist belegt und ich probiere den Caro-Kanu Wagen zum erstenmal nicht als Sackkarre, sondern als normalen Transportwagen aus. Das funktioniert auch wunderbar.
Rechterhand sieht man auf der Wegstrecke die Havel als ein klägliches Rinnsal, das tatsächlich so nicht paddelbar wäre.
Am Pagelsee angekommen lege ich Rast ein, bevor es weitergeht. An- und ablegende Kanugruppen und die Lorentransporte machen den Platz etwas unruhig. Ein Pärchen hat tatsächlich eine krachend laute Boombox in ihren Kajaks, die eine Viertelstunde alles zudröhnt, schauderhaft geschmacklos. Vielleicht kann man die eigene Naturferne nur so authentisch erleben und genießen. Die beiden verschwinden dann zum Glück mit ihrem Brüllwürfel auf dem Pagelsee.
Immerhin hat sich das Wetter aufgeheitert. Sonnenlicht, Wolken, sattes Grün und Blau hüllen mich ein. Über den Pagelsee geht es in einigen Windungen etwa 2km erst westlich, dann südwärts, wo sich der nächste kurze Havelabschnitt anschließt, der in den rundlichen Zotzensee führt.
Jeder der zwischen den Seen liegenden Havelabschnitte hat andere überraschende Charakteristiken. Mal schmal und schilfumsäumt mit kaum einen halben Meter tiefem Wasser, dann wieder etwas weiter unter dichtem Erlenlaubdach und wieder zurück. Noch weiss die Havel nicht so richtig, was sie will – sie ist auf jeden Fall noch nicht der etwas bräsige breite Kanal mit den spiessigen Motorbootfahrern, den man aus dem Berliner Raum kennt. Motorboote sind hier noch nicht erlaubt – hier ist Kajakland und die Natur hat Vorfahrt.
Nach dem Zotzensee folgt wieder ein Stück Havel, das aber nach etwa 1,2 km bei der Fischerei Babke erneut unterbrochen wird. Hier muss für ein paar Meter umgetragen werden. Alternativ kann eine Kajakschleppe genutzt werden. Und für Hungrige ergibt sich hier eine gute Gelegenheit, die Kohlehydrat- und Proteinspeicher mit frischem Fisch aufzufüllen.
Mir wird aber die Zeit schon etwas knapp und ich paddle weiter, bis sich nach etwa einem Kilometer der wunderschöne Jäthensee auftut, der geradezu zu durchqueren ist.
Der nachfolgende Havelabschnitt führt über ca. 2 km zum Görtowsee. Ausgeschildert kann an dieser Strecke per Abstecher der Zeltplatz „Hexenwäldchen“ am kleinen rechtsab liegenden Jamelsee erreicht werden, ein beliebter Rast- und Übernachtungsplatz, den mir einige Paddler als Tagesziel nannten.
Für mich sind es aber noch etwa 8 km bis zum Südende des Useriner Sees und ich paddle tapfer weiter.
Am Görtowsee führt die Havel nach etwa 700m in südöstlicher Richtung auf einem kurzen Abschnitt in den Zierssee, der wiederum schon das nordwestliche „Vorzimmer“ des Useriner Sees darstellt.
Ich biege am östlichen Ausgang des Ziersse rechts ab und der weitläufige Useriner See liegt nun südwärts vor mir. Das Wetter hat sich wirklich aufgeklärt und ein schönes Wolkenspiel erscheint am schon langsam abendlichen Himmel. Es ist mittlerweile schon nach 19 Uhr. Auch wenn ich im Nortik-Fold das Gefühl hatte, mit zügiger Schrittgeschwindigkeit voranzukommen, haben die beiden Umtragepunkte an der Zeitplanung geknabbert.
Am südlichen Ende des Useriner Sees stehen 2 Campingplätze zur Auswahl: rechts ein FKK-Campingplatz, zu dem ich mich nicht recht traue, auch wenn das sicher mal eine interessante Erfahrung wäre. Die Temperaturen stimmen aber nicht so wirklich für ein unbeschwertes Nacktvergnügen. Auch scheinen mir diese FKK-Plätze, die noch auf DDR-Gebräuche zurückgehen, eher etwas für Dauergäste und nudistische Traditionalisten zu sein. Aber ich kann mich irren. Von Nacktpaddeln wäre angesichts der reflektierenden UV Strahlung auf dem Wasser wohl eher abzuraten.
Ich entscheide mich also für den Campingplatz beim Ortsteil Useriner Mühle am Ostufer, an dessen Strand bereits abendliche Picknickrunden sitzen. Der Campingplatz selbst ist leider auf einer Anhöhe gelegen und nur über eine steile Treppe oder etwa 200m über die Strasse erreichbar. Einige Kajaks liegen zwar an der Wiese, aber ich baue den Kajakwagen noch einmal auf und schiebe das Kajak über die Strasse auf den geräumigen Platz. Die Rezeption ist schon geschlossen, aber ein Zettel informiert, in diesem Fall einfach einen geeigneten Platz zu suchen.
Mit müden Muskeln baue ich mein neues Nightcat Minizelt auf, koche mir einen kleinen Eintopf aus der Dose auf und liege schon bald in Morpheus Armen, wenn gleich auch ein wenig unruhig, da nachts etwas Wind auftritt und beunruhigend in den Blättern der Bäume über mir raschelt. Auch ist ein dünner Sommerschlafsack trotz behaupteter Comfort-Zone bei 12 Grad keine Sauna, sondern eher ein Eisfach, wie ich vollbekleidet merken muss.
Am nächsten Morgen beginnt das Wetter dann auch wieder bescheiden. Ein bleigrauer Himmel über dem Useriner See droht Regen an. Noch im Trockenen kann ich das Zelt einpacken und kutschiere nach Bezahlung, Kaffee, Haferflocken und Morgenhygiene Kajak und Gepäck wieder über die Straße an die kleine Badebucht unter dem Zeltplatz. Vom Plan, heute mit schlechtem Wetter und etwas müde mit dem nicht grade pfeilschnellen Origami-Kajak 30km bis nach Fürstenberg zu paddeln, habe ich mich verabschiedet. Das Tagesziel ist jetzt das Städtchen Wesenberg, das über den Großen Labussee und Woblitzsee zu erreichen ist und einen Bahnanschluss hat. Eine Strecke von nicht viel mehr als 9km.
Die Fahrt geht zunächst über den etwa 600m langen Havelkanal – die eigentliche Havel scheint laut Googlemaps am Südostrand des Useriner Sees weiterzuführen, ich finde Sie aber nicht, als ich das Seenende abpaddele. Am Ende des Havelkanals ist wieder Umtragen angesagt. Die dortige Schleuse in den Labussee ist nur zu bestimmten Zeiten in Betrieb. Die schwere Kajaklore ist etwas umständlich zu bedienen, die rasselnden Zugketten verklemmen sich gerne unter den Rädern und am Anfang springt mir das schwere Ding tatsächlich aus der Schiene. Da ich am Vortag noch vorhatte, einen Zeltplatz am Labussee anzusteuern, muss ich wohl instinktiv die richtige Entscheidung getroffen haben, mir am späten Abend diese Portage zu ersparen. Am gegenüberliegenden Steg landet grade ein schwäbischer Paddler an, den es hierhin in den Norden verschlagen hat.
Am Großen Labussee ist es nun aus mit dem Kajakprivileg und dem einsam stillen (von der gelegentlichen Begegnung mit Brüllwürfelpaddlern einmal abgesehen) Dahingleiten in nahezu unberührter Natur. Die Havel ist erwachsen geworden und die Seen können ab hier auch mit Motorbooten befahren werden und werden es auch. Mein vorgefasstes Havelbild kommt etwas in Reichweite, aber so schlimm es es dann doch nicht.
Auf dem Labussee halte ich mich am linken Ufer, bis nach 1 km wieder ein längerer Havelabschnitt in Sicht kommt. Dieser führt ostwärts über etwa 3,5 km bis zum Woblitzsee. Des öfteren kommen Motorboote von vorn oder von hinten auf, aber die Havel, deren Ufer nun mit Holzpfählen befestigt sind, ist breit genug. Am Ausgang zum Woblitzsee mache ich kurz Rast an einem Steg. Rechts sind die Ausläufer eines riesigen hügeligen Campingparks sichtbar. Eine Schwanenfamilie scheint mein weißes Kajak als eine Art Mutterschiff zu respektieren und schwimmt für eine Weile neugierig herum.
Ich bin nun gewappnet für die restlichen Kilometer bis nach Wesenberg, die es noch einmal in sich haben. Der Woblitzssee, der sich über knapp 5 km nach Südwest erstreckt, ist schon ein stattlicher ausgewachsener See. Der Wind weht natürlich auf einmal stramm und böig gegenan, baut Kabbelwellen auf und schafft es leicht, mich trotz des kurzen Tagesetmals noch einmal auszupowern. Im Süden zeigt sich ein dramatisches Wolkenspiel am Himmel, das Gewitter ankündigt.
Als ich schliesslich am Wasserwanderrastplatz Wesenberg bei wieder freundlicher Wetterlage ankomme, bin ich rechtschaffen erledigt und baue mein Kajak wie in Zeitlupe ab.
Bis zum Wesenberger Bahnhof, der einen selten gottverlassenen Eindruck macht, sind es etwa 1,5 km. Ich warte dort 45 Minuten in gleissender Sonne mit schwarzen Gewitterwolken am Horizont, fast wie in einem Tarantino-Film. Ein mächtig beleibter Bahnhofswärter stolpert plötzlich mit einer Ladung fetter Burger über das Gleisbett und reicht diese dem erfreuten Zugführer des auf dem gegenüberliegenden Gleis einfahrenden Zuges. Doch nach dieser Slapstick-Einlage folgt nicht der Showdown, sondern ein kurzer Regionalzug fährt irgendwann ein und nimmt mich auf.
In Neustrelitz steige ich um in den Regionalexpress nach Rostock und kann schon am nächsten Halt in Kratzeburg aussteigen. Der Zug ist voll, aber nicht so überfüllt, wie die Medien menetekeln. Noch sind die 2 km bis zum Parkplatz mit der Sackkarre zu überwinden, aber auch das geht gut.
Als ich ich mich auf dem Rückweg in Neustrelitz noch einmal verproviantiere, begegnet mir dann doch noch der Bösewicht Tarantinos. Im Supermarkt schiebt vor mir ein 1,95m grosser, mindestens 120 KG schwerer glatzköpfiger Hüne, über und über tätowiert mit Nazirunen, dickes eisernes Kreuz im Nacken und einen groben Schlagring auf die Wange tätowiert, seinen Einkaufswagen durch die Schranke. Eine Spezies, die hier in Mecklenburg-Vorpommern wohl immer noch ihr Habitat hat. Doch der Typ bleibt friedlich und scheint wie ich einfach nur Hunger zu haben.
Links
- Parkplatz Kratzeburg
- Campingplatz „Naturfreund“ Kratzeburg
- Campingplatz „Zum Hexenwäldchen“
- Campingplatz Useriner Mühle