Güstebieser Loose – Hohensaaten

01.05.2016 - Tagestour auf der Oder

Länge: 21 km



Nach der Erkundung des idyllischen Laufes der Wriezener alten Oder vor einem Monat wollte ich nun doch einmal wieder das große Oderpanorama geniessen.

Die etwa 20 km lange Strecke zwischen dem Fähranleger Güstebieser Loose, wo ein kleiner polnischer Raddampfer als Fähre nach Gozdowice übersetzt und der Wasserstrassenkreuzung Hohensaaten, wo es über die Alte Oder westlich in Richtung Oder Havel Kanal (Schiffshebewerk) und Finowkanal geht, und nördlich über die Friedrichsthaler Wasserstrasse oder die Oder selbst nach Stettin, ist nicht der natürliche Flusslauf der Oder, sondern die durch den „Grossen Durchstich“ in den Jahren 1747-1753 geschaffene Abkürzung, also ein Kanal.

Der künstliche Charakter zeigt sich im recht graden Lauf der Oder auf dieser Strecke, was aber der landschaftlichen Schönheit wenig Abbruch tut. Der auf einem bei Hochwasser überfluteten Polder gelegene Fähranleger bei Güstebieser Loose ist gut besucht, als ich mittags bei sonnigem Wetter und angenehmen Frühlingstemperaturen ankomme und das Auto beim Neptun-Denkmal abstelle.

Gleich links der Betonrampe des Anlegers findet sich eine kleine Sandbucht ohne Strömung, an der ich einsetze. Nach ein Paar Schlägen ist deutlich zu merken, dass dies kein kleines Flüsschen mehr ist. Die Strömung erzeugt über die gesamte Flussbreite einige Verwirbelungen und unfreiwillige Kursänderungen, an die ich mich erst gewöhnen muss. Der mitunter böige Ostwind sorgt zudem auf der gesamten Strecke für einen steten Luvdrall des Bavaria Rallye, der durch Kanten und dosierte Paddelkraft ausgeglichen werden muss. Dennoch geht es mit Hilfe der Strömung flott voran.

Über die ersten Kilometer bis zum kleinen Ort Zollbrücke fahre ich auf gleicher Höhe mit einer auf dem Oder-Neisse Radweg langsam radelnden Kleinfamilie. Am polnischen Ufer finden sich viele Angler, das Verhältnis polnischer vs. deutscher Angler ist sicher 10:1. Dies liegt aber sicher auch daran, dass anscheinend ein befahrbarer Weg am polnischen Oderufer entlangführt, während die deutschen Angler am Deich entlang radeln müssen und nur über wenige Stichstrassen direkt bis zur Oder gelangen können.

Auf dem Wasser bin ich nahezu vollständig allein. Nur einmal während der gesamten Tour kommt mir ein stromaufwärts fahrender kleiner Motordampfer entgegengestampft, merkwürdigerweise mit dem Schriftzug „Monrovia, Liberia“ versehen – das wäre ein weiter Weg bis hierhin. Mit den Unwägbarkeiten der doch recht starken Strömung und den bei Hochwasser schwer erkennbaren in die Oder ragenden Steinschwellen und Betonrampen ist das hier sicher kein Gewässer für den gelegentlichen Freizeit-Mietpaddler, mal abgesehen davon, dass es zumindest auf dieser Strecke keine Bootsverleiher, Wasserwanderrastplätze, etc. gibt.

Nur der von Tschechien bis nach Usedom führende Radweg scheint sich über die Jahre langsam zu bevölkern und immer mehr Radtouristen an sich zu ziehen. Aber die Einsamkeit oder zumindest die homöopathische Verdünnung der Mitmenschen in diesem grossartigen Landschaftsraum des Oderbruches macht natürlich grade den Reiz aus. Ich lasse mich öfter einfach treiben, es entsteht eine rauschende Stille, startende Schwanengeschwader hecheln über das Wasser, auch Storche, Reiher und Kormorane lassen sich gelegentlich blicken; das Kajak dreht langsam in der Strömung und zeigt abwechselnd die polnische Seite mit einem bewaldeten luftigen Höhenzug in der Ferne und die Weiten des westlichen Oderbruches, wobei der Deichverlauf hier natürlich meist eine Blickbarriere bildet. Das typische Oder-Feeling breitet sich aus, eine gewaltsam entpolitisierte Pufferlandschaft ist entstanden, in der man wunderbar zum Denken oder auch endlich Nichtmehrdenken kommt.

Die hinter Zollbrücke bei Bienenwerder über die Oder führende alte Eisenbahnbrücke zeugt mit Ihrem Stacheldrahtverhau und den grasbewachsenen Gleisen von einem Stillstand der Zeit, auch wenn man ein paar Kilometer weiter in Hohenwutzen bereits munter und ohne Passkontrolle über die Oder zum Einkaufen und Tanken fahren kann. (Wie ich nachträglich erfahre, soll seit 2014 an den Wochenenden eine kleine Draisine über die Brücke fahren – davon war allerdings nicht zu bemerken). Oderabwärts hinter der Brücke, wo einige Cafes Touristen anziehen, wird es ruhiger an den Ufern. Das liegt aber auch daran, dass der Fahrradweg auf der Westseite zum Teil hinter dem Deich entlang führt und der Verkehr vom Wasser aus nicht zu bemerken ist. Ich verzichte auf eine Landpause – durch den graden Verlauf und wohl auch den hohen Wasserstand finden sich hier auch nicht die sonst zum Anlegen einladenden Oder-Sandbänke im Kehrwasser der Buhnen.

Schon bald kommt Hohenwutzen in Sicht. Ich fahre kurz in einen mit polnischen Anglern bevölkerten toten Oderarm ein, drehe aber schnell wieder um und paddle unter der mächtigen Grenzbrücke hindurch. Rechts hinter Bäumen zeigt sich das aus vergammelten Industriebauten bestehende Gelände des beliebten Polenmarktes. Vor wenigen Wochen sind hier einige Buden mit Polenböllern in die Luft geflogen. Ein alter Hafenkai mit Kran zeigt sich ebenfalls auf der polnischen Seite; es sieht nicht so aus, als würde hier noch viel Fracht gelöscht oder beladen werden.

Nun sind es nur noch 2 Kilometer bis zur alten Schleuse in Hohensaaten bei Kilometer 665, die wiederum etwa 1 Kilometer vor der eigentlichen Schleusenanlage liegt und als Schleuse nicht mehr zu erkennen ist. Ein flacher Metallsteg am Pegelhäuschen ist wunderbar zum Ausstieg geeignet. Hinter dem Deich findet sich unmittelbar ein kleiner Parkplatz, auf dem ich mein Fahrrad stationiert hatte. Dort deponiere ich jetzt das Kajak und radle über den Oder-Neisse Radweg die gesamte Strecke wieder zurück bis nach Güstebieser Loose, um das Auto zu holen.

Kartenansicht der Tour