Kajaktour auf der Müggelspree von Fürstenwalde nach Erkner
01.08.2021 - Eintägige Kajak Tour de Force mit dem Nortik Fold 4.2 über Fürstenwalder Spree und einsame Müggelspree-Mäander bis zum Dämeritzssee nach Erkner vor die Tore Berlins.Länge: ca. 40 km
Strömende Gewässer sind selten in der Nähe von Berlin. Dem Großstadtsumpf ging einmal der Spreesumpf voraus. Die Gewässer hier sind ruhig und träge, sie scheinen in die Breite, nicht in die Länge zu fließen. Der Himmel über Berlin spiegelt sich in den unzähligen Seen und Kanälen, aber so richtig Fluß ist hier nicht. Wenn Fluß denn etwas mit Fließen zu tun hat.
Wer in richtig strömenden Gewässern paddeln möchte, muß weit fahren bis an Oder und Elbe. Aber ein paar kleine Ausnahmen gibt es anscheinend doch und eine davon ist die Spree selbst auf einem sehr naturnahen und idyllischen Teil gleich südöstlich vor Berlin, der als Müggelspree bekannt ist. Westlich der Kleinstadt Fürstenwalde verwandelt sich die Spree in einen über mehr als 30 km ruhig fließenden mäandrierenden Wiesenfluß, von nur wenigen Ortschaften gesäumt. 2 – 4 km/h soll die Strömung angeblich betragen und das sollte dem Reisetempo und damit verbunden, dem möglichen Tagesetmal, doch einen gehörigen Schub verpassen.
So denke ich jedenfalls, als ich Sonntag vormittag mit meinem erst einmal benutzten Nortik Fold in die S-Bahn ein- und in Ostkreuz in den Regionalzug nach Fürstenwalde umsteige.
Diesmal klappt es halbwegs mit der wackligen Sackkarre und der mächtigen Packtasche. In einer Stunde stehe ich schon an der Fürstenwalder Spree, die eher wie ein grösserer Kanal wirkt und auch einer ist. 3 Niederländer bauen ihre Luftkajaks auf. Sie wollen bis Hangelsberg fahren und kennen die Strecke schon. Vor meinem Tourenplan haben sie Respekt und ich merke, dass mein Plan vielleicht etwas ehrgeizig ist. Dummerweise ist nämlich Hangelsberg der einzige Punkt vor Neuzittau und dann Erkner, wo an diesem Tag ein Verkehrsanschluss besteht. Der Busverkehr hier auf dem platten Land hat Sonntags einfach zu. Wo Provinz draufsteht, ist eben auch Provinz drin, auch wenn der BER nur ein paar Kilometer entfernt ist. Es bietet sich eigentlich an, aus der Stecke eine 2-Tagestour zu machen und irgendwo in der Einsamkeit wild zu campen. Aber da auf Sonntag der Montag und damit die Arbeit folgt, ist das für mich leider nicht drin.
Ich setze daher auf die beschleunigende Strömung, die aber auf der Fürstenwalder Spree noch nicht vorhanden ist, da im Grunde ein Kanal.
Aber nach 5 km bin ich am Wehr der großen Tränke angelangt, wo die fließende Müggelspree beginnt. Dort befindet sich eine Kajakrampe, sogar mit Transport-Lore und es ist viel Betrieb. Ein kleiner Picknickplatz mit Holzbänken lädt zur Rast ein. Nach dem Umstieg fängt es tatsächlich an zu fließen. Das Kraut im Wasser schlängelt in der Strömung und es fährt sich sehr angenehm. Strömung ist Umweltenergie für Kajaker, mehr, als es der Akku im EBike je sein könnte. Allerdings habe ich vorher das erfurchtsgebietende Schild gesehen, dass die Entfernung nach Erkner immer noch 32,5km betragen würde. Das war ungefähr meine Einschätzung der Gesamtstrecke. Habe ich auf Googlemaps nicht richtig gemessen? Ein Spaziergänger erzählt mir, dass im Zuge eines Renaturierungsprojektes einige Spreeschleifen aktiviert worden seien. Überall, wo es auf Googlemaps so aussieht, als könne man selbst entscheiden, ob man gradeaus fährt oder eine Mäanderschleife voll ausfährt, ist die Wahrheit: Gradeaus gibt’s nicht mehr, damit sich die Natur künftig besser entfalten kann. Der Weg ist der Umweg.
Die Strömung ist auch beileibe nicht so stark, dass man nicht gegenanpaddeln könnte. Auf den nächsten Kilometern bis zur Kanustation Hangelsberg gibt es ein emsiges Hin- und Her. Die Spree ist hier vielleicht 20 Meter breit, umsäumt von silbrigen Weiden, Erlen, Eichen und manchmal bizarren Baumruinen, die wie Finger in den Himmel greifen. Graureiher steigen majestätisch auf, Schwäne dümpeln gemächlich am Uferrand. Im Familienverband mit Nachwuchs auf beengten Gewässer sind sie ja manchmal nicht ganz ungefährlich, aber heute sind sie friedlich. Vielleicht liegt es am weißen Kajak, das für einen respektablen Riesenschwan gehalten wird? Ich habe jedenfalls schon unangenehme Begegnungen erlebt.
In Fürstenwalde West gibt es einen kleinen Strand, wo ich pausiere. Auch hier herrscht noch viel Betrieb.
Der ganze Kanuverkehr scheint von der Kanustation Hangelsberg auszugehen und dorthin zurückzukehren. Die Station liegt noch einige Kilometer flussabwärts.
Dahinter wird es nun zunehmend einsamer. Selbst die Flieger, die in einiger Höhe unseren neuen Provinzflughafen BER ansteuern, verstärken das Gefühl, dass man nun im Nirgendwo unterwegs ist und auf sich gestellt.
Vereinzelt sind Wildcamper am Ufer zu sehen. Der Nachmittag ist schon fortgeschritten. Schön wäre es, jetzt auch einfach ein Zelt aufschlagen zu können. Jedenfalls sollte man Zeit haben für die Müggelspree und ihre Mäander.
Denn ich merke, dass ich manchmal mit Blick auf die Uhr etwas frustriert bin, wenn wieder ein Stopschild auftaucht und es statt gradeaus in die lange Schleife geht.
Einmal schwingt sich ein gewaltiger Raubvogel von einer Eiche am linken Ufer und taucht mit mächtigen Greifen sturzflugartig in die Fluten, aber vergeblich und ohne Beute.
Am Horizont tauchen immer wieder dunkle Regenwolken auf und einmal fängt es sogar kurz an, in Strömen zu gießen. Aber glücklicherweise paddle ich immer rechts, links oder mittig zwischen diesen drohenden Wetterkulissen hindurch.
Hinter Neuzittau wird die Müggelspree zunehmend breiter und fließt irgendwie zäher und bräsiger. Swampland Berlin ist nahe. Tapfer paddle ich weiter und gelange endlich in den Dämeritzsee. Es beginnt schon deutlich zu dämmern. Der See liegt ruhig und Erkner am gegenüberliegenden Ufer.
Hier scheint aber alles in Privatbesitz zu sein und ein Anlanden schwierig. Aber linkerhand liegt ein Strandbad, das ich ansteuere und das nicht weit von der S-Bahn entfernt ist. Am Strand angekommen ist, merke ich dass das Gelände eingezäunt ist, aber zum Glück ist noch ein kleiner Durchgang offen. Als alles eilig verpackt ist, holpere ich mit der ratternden Sackkarre und dem Kajak-Origamipaket durch das Tor hinaus.
Den Weg zur S-Bahn teile ich mit etwa 30 reichlich zugedröhnten Technojugendlichen, die den Sonntag hier am See verbracht haben und nun auch heim nach Berlin wollen. Natürlich ist die S-Bahn um 22:00 Uhr wegen Wartungsarbeiten außer Betrieb, aber ein leicht verspäteter Regionalzug fährt noch. Ich bin müde, aber eigentlich glücklich nach der erfolgreichen Marathontour. Aber hier passiert mir nun ein fürchterliches Malheur: Zu beschäftigt, meine Kajaktasche am Alexanderplatz aus dem Zug zu bugsieren, vergesse ich meine wasserdichte Ortliebtasche mit Portemonnaie, EC- und Kreditkarten, Personalausweis, Führerschein, sprich meiner gesamten Identität inklusive Haustürschlüssel auf der Sitzbank. Ich bemerke den Fehler und drücke auf den Öffnen-Knopf. Aber die Tür reagiert nicht mehr, obwohl der Zug noch über eine Minute am Gleis steht. Schaffner wie in guten alten Zeiten sind nicht in Sicht. Der Zug dampft ab Richtung Magdeburg und ich mutiere von einer auf die andere Sekunde vom heroischen Langstrecken-Kajaker in ein Häufchen Elend. Ich wähle mich in eine kostenpflichtige Endlos-Servicewarteschleife der Bahn ein, vergeblich. Ich erreiche meine Frau, die endlich eine passende Nummer findet. Um 1 Uhr nachts kommt dann die rettende Nachricht. Der Servicemitarbeiter hat den Schaffner erreicht, die Tasche wurde gefunden. Am nächsten Morgen findet eine Übergabe nach Geheimagentenmanier statt. Um 06:28 Uhr stehe ich übernächtigt und aufgeregt am Gleis. Der Regionalzug fährt ein. Am letzten Wagen öffnet sich die Tür für ein paar Sekunden. Ich zeige meinen (abgelaufenen) Reisepass und die Schaffnerin reicht mir freundlich die Tasche. Die Tür schließt sich und der Zug fährt ab.
Liebe Bahnmitarbeiter, ich verspreche, mich mindestens ein Jahr lang nicht mehr über Verspätungen zu beschweren. Ihr seid Helden und Heilige!